GLOSSAR
In einem strafrechtlichen Prozess wegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit oder Menschenhandel wird die Klage nicht von den Betroffenen, sondern von der Staatsanwaltschaft erhoben. Die betroffene Person hat aber die Möglichkeit etwaige zivilrechtliche Ansprüche (z. B. ausstehende Löhne oder Schadensersatz) in einem Adhäsionsverfahren geltend zu machen. Hierfür muss ein Antrag ans Gericht gestellt werden. Wird der Antrag vom Strafgericht abgelehnt, können die Ansprüche noch zivilrechtlich eingeklagt werden.
Ist von “alter Rechtslage” die Rede, so geht es um die Menschenhandelstatbestände des StGB vor der Reform im Oktober 2016. Für Tatzeiträume nach Oktober 2016 ist die -> neue Rechtslage uneingeschränkt maßgeblich.
Das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begründet den Anfangsverdacht als Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens. Liegen Indikatoren aus der -> Indikatorenliste für Menschenhandel/Zwangsarbeit vor, wird aber dennoch nicht (weiter-) ermittelt, so liegt darin eine Verletzung von Art 4. EMRK. Die Pflicht zur -> Unterrichtung über Opferrechte wird durch eine noch geringere Schwelle ausgelöst (-> konkrete Anhaltspunkte).
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt die Überlassung von Arbeitnehmer*innen durch ihren Arbeitgeber*innen (Verleiher*innen) zur Arbeitsleistung an Dritte (Entleiher*innen). Der Verleih und Entleih von Ausländer*innen ohne Genehmigung oder Aufenthaltstitel der Arbeiter*innen ist verboten, siehe § 15a des AÜG.
Wir beziehen uns bei der Verwendung des Begriffs „Arbeitsausbeutung“ auf die strafrechtlich relevante Ausbeutung der Arbeitskraft. Im deutschen Strafgesetzbuch ist dies Gegenstand des § 233 StGB. Hiernach macht sich jemand der Arbeitsausbeutung schuldig, wenn er/sie die Zwangslage oder Hilflosigkeit einer Person ausnutzt um diese Person auszubeuten.
Im Unterschied zur Zwangsarbeit muss hierbei keine Beeinflussung des Willens stattgefunden haben oder nachgewiesen werden.
Als ausbeuterisch gilt eine Beschäftigung, wenn sie aus rücksichtslosem Gewinnstreben erfolgt und wenn die Arbeitsbedingungen deutlich schlechter sind als es für diese Tätigkeit in der Branche üblich ist.
Besonders schwere Fälle von Arbeitsausbeutung, die mit einer Freiheitsberaubung der Betroffenen einhergehen, sind darüber hinaus in § 233a StGB erfasst.
Entscheiden Betroffene von Zwangsarbeit sich dafür, in einem Strafverfahren gegen ihre*n Arbeitgeber*in auszusagen und bekommen einen entsprechenden Aufenthaltstitel nach §25 4a oder §25 4b AufenthG, können sie einer unselbständigen Tätigkeit nachgehen. Diese muss nicht von der Bundesagentur für Arbeit geprüft werden. Während der Bedenkfrist ist keine Beschäftigung erlaubt.
Für Personen aus dem EU-Ausland ist der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt von ihrem Aufenthaltsstatus und dem Vorhandensein einer damit verbundenen Arbeitserlaubnis abhängig. Personen im Asylverfahren sowie Personen mit einer Duldung können ab dem vierten Monat einer unselbständigen Tätigkeit nachgehen, wenn die Ausländerbehörde dieser Tätigkeit zustimmt. Dafür prüft die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitsbedingungen der vorgesehenen Stelle. Nach zwei Jahren ist eine unselbständige Tätigkeit ohne die Prüfung der Arbeitsagentur möglich.
In der Praxis ist das Zustimmungsverfahren der Arbeitsagentur oftmals langwierig und es dauert mehrere Wochen bis die Ausländerbehörde die Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme erteilt. Dies stellt für viele Arbeitgeber einen Nachteil dar, wenn sie daran interessiert sind, dass die Arbeit sofort aufgenommen wird.
Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt sowie die Bindung eines Aufenthaltstitels an einen spezifischen Arbeitgeber können Zwangslagen für Beschäftigte fördern oder verstärken. Denn die Betroffenen werden daran gehindert, sich (frühzeitig) aus ausbeuterischen Situationen zu befreien.
Das auffällige Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ist das zweite wesentliche Tatbestandsmerkmal der -> ausbeuterischen Beschäftigung. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Arbeits- bzw. Ausbeutungsverhältnisses. Dennoch bleibt das bedeutendste Kriterium der tatsächlich ausbezahlte Lohn. Liegt dieser bei 50% oder weniger des gesetzlichen Mindestlohns bzw. des einschlägigen Tariflohns, so liegt in jedem Fall ein auffälliges Missverhältnis vor.[1] Zu beachten ist bei der Berechnung auch, dass nicht gewährte Zulagen, fehlender Urlaub, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Strafen seitens des Arbeitgebers u. ä. einzubeziehen sind. Sie erhöhen den Betrag, den ein/e vergleichbare/r Arbeitnehmer*in unter regulären Bedingungen erhalten hätte. So kann im Ergebnis auch bei einer Auszahlung von mehr als 50% des gesetzlichen Mindestlohns ein auffälliges Missverhältnis vorliegen.
[1] So auch die Gesetzesbegründung, siehe BT-Drs. 18/9095, 28; a.A. BGH v.22.4.1997 – 1 Str701/96, BGHSt 43,53; BAG v. 18.4.2012 – 5 AZR 630,10, NZA 2012, 978. der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Gesetzesbegründung nicht der h.M. angeschlossen, die ein auffälliges Missverhältnis bereits ab einer Spanne von weniger als 2/3 des gezahlten oder versprochenen Lohnes zum festgestellten Lohnniveau annimmt, weil diese Diskrepanz einem Kundigen ohne weiteres ins Auge springt. Bei Fällen, in denen das Verhältnis zwischen ½ und 2/3 liegt und insbesondere auch weitere Indikatoren deutlich ausgeprägt sind, ist eine Strafbarkeit überzeugend anzunehmen.
Aufenthaltstitel für Betroffene von Zwangsarbeit
Besteht der Verdacht auf Zwangsarbeit, Menschenhandel oder Arbeitsausbeutung (§233 StGB) können betroffene Drittstaatsangehörige einen Aufenthaltstitel bekommen. Zunächst haben sie Anrecht auf eine mindestens dreimonatige Bedenkfrist, während der sie entscheiden können, ob sie als Zeug*innen im Strafprozess aussagen möchten. In dieser Zeit haben sie Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Entscheiden die Betroffenen sich dazu als Zeug*innen im Strafverfahren zur Verfügung zu stehen, bekommen sie einen Aufenthaltstitel für die Zeit des Verfahrens (nach § 25 Abs. 4a und 4b AufenthG). Während dieser Zeit haben sie Anspruch auf Leistungen nach SGB II bzw. SGB XII (bei Nicht-Erwerbsfähigkeit). Dieser Anspruch gilt auch für EU-Bürger*innen, da diese nicht schlechter gestellt werden dürfen als Drittstaatsangehörige (§ 11 Freizügigkeitsgesetz/EU).
Ein befristeter Aufenthalt nach §25 4b AufenthaltsG kann Betroffenen von illegaler Beschäftigung erteilt werden, wenn sie als Zeuge in einem Strafprozess aussagen. Der Aufenthaltstitel kann verlängert werden, wenn dies erforderlich ist um ausstehende Löhne einzufordern.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung (-> ausbeuterische Beschäftigung) im Sinne des §232 StGB liegt objektiv vor, wenn die beiden Tatbestandsmerkmale -> rücksichtsloses Gewinnstreben des/der Täter und ein -> auffälliges Missverhältnis zu den Bedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer*innen verwirklicht sind.
Auslandspezifische Hilflosigkeit
Auslandsspezifische Hilflosigkeit liegt immer dann vor, wenn ein Opfer auf Grund des Aufenthalts in einem fremden Land besonders verwundbar gegenüber Ausbeutung ist. Entscheidend sind die individuellen Gesamtumstände. Zu berücksichtigen sind z. B. geringe Sprachkenntnisse, fehlende Barmittel, Angewiesenheit auf Unterkunft und Verpflegung bzw. eingeschränkte Ausreisemöglichkeit nach Wegnahme der Ausweispapiere durch die Täter.[1] Ob sich jemand in einem fremden Land aufhält, bestimmt sich nicht nach der Staatsangehörigkeit. Hilflos können somit sowohl deutsche Staatsangehörige sein, die im Ausland aufgewachsen sind und nach Deutschland kommen, als auch ausländische Bürger, die im Inland aufgewachsen sind und hierher zurückkehren. Auch die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union steht der Opfereigenschaft nicht entgegen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Gesamtumstände, insbesondere Sprache, Lebensgewohnheiten, die Unkenntnis (rechtlicher) Schutzmöglichkeiten oder soziale Isolation dem Opfer ein Zurechtkommen erheblich erschweren.
[1] Valerius in: BeckOK StGB, § 232 StGB, Rn 9 f.
Bei den Menschenhandelsstraftatbeständen handelt es sich um opferzentrierte Tatbestände. Die Aussage des/der Betroffenen bzw. der/des Zeug*in ist zumeist ausschlaggebend für den Ausgang eines Falles. Die -> Bedenk- und Stabilisierungsfrist dient dazu, den Betroffenen genügend Zeit und einen sicheren Rahmen zur Entscheidungsfindung, ob sie umfassend aussagen, zu verschaffen. Denn in der Regel wird eine Aussage mit einem gewissen Risiko rechtlicher oder tatsächlicher Art für sie verbunden sein. Spezialisierte Beratungsstellen informieren in diesem Stadium Betroffene und betreuen diese. Ermittlungsbehörden sollen aktiv mit Beratungsstellen zusammenarbeiten, um einen wirksamen -> Opferschutz sicherzustellen und die Aussagebereitschaft des/der Betroffenen zu erhöhen. So kann dem Risiko entgegenwirkt werden, dass die Betroffenen ausreisen und den Ermittlungsbehörden nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Aussagebereitschaft kann ebenfalls gefördert werden, wenn die Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung des/der Betroffenen nach -> § 154c StPO und im Einklang mit Artikel 8 der -> EU-Richtlinie 2011/36/EU absieht. Insbesondere aufenthaltsrechtliche Verstöße der Betroffenen sind einem Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft in der Regel nachrangig.
Im Kontext von Ermittlungen gegen Menschenhandel, Zwangsarbeit und/oder Ausbeutung der Arbeitskraft sind folgende Ausweichtatbestände häufig Teil der Ermittlungen:
Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB), Beihilfe zum illegalen Aufenthalt bzw. zur illegalen Einreise (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG, 27 StGB); Einschleusen von Ausländern (§ 96 AufenthG), Lohnwucher (§ 291 StGB), Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, Betrug (§ 263 StGB), Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Steuerhinterziehung (§ 370 AO), Urkundenfälschung (§ 267 StGB), Unterschlagung (§ 246 StGB), Waffenverstöße oder Straftaten nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.
Sie gehen zumeist einher mit einer einfacheren Beweisführung und somit einer größeren Verurteilungswahrscheinlichkeit. Durch eine oftmals zu frühzeitige Fokussierung auf Ausweichtatbestände wird die Anzahl der Menschenhandelsverfahren reduziert, was für die Betroffenen Nachteile in Bezug auf ihre -> Opferrechte mit sich bringt sowie für die Ermittler*innen oftmals die zulässigen Ermittlungsmaßnahmen reduziert (-> Ermittlungsmaßnahmen). Es ist daher regelmäßig geboten, Verfahren mit einem Anfangsverdacht auf Menschenhandelstatbestände auch unter den zugehörigen Normen des StGB zu führen.
Bedenk- und Stabilisierungsfrist
Liegen den Ermittlungsbehörden -> konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich einer möglichen Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches oder nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des -> Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des -> Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vor, so hat der/die Betroffene einen Anspruch auf Information über die Opferrechte und eine mindestens dreimonatige Bedenk- und Stabilisierungsfrist, vgl. § 59 Abs. 7 AufenthG. Sie dient zum einen der ersten Regeneration und Stabilisierung der betroffenen Person. Zum anderen hat sie darüber zu entscheiden, ob sie als Zeug*in im Strafprozess umfassend aussagen möchte.[1] Die zuständige Ausländerbehörde stellt auf Anweisung der Ermittlungsbehörde Drittstaatler*innen eine vorläufige Ausreisefrist nach § 59 Abs. 7 AufenthG aus. Damit einher geht der Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für EU-Bürger*innen besteht Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für erwerbsfähige Personen und dem SGB XII für nicht erwerbsfähige Personen (-> fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit). Nach der Bedenk- und Stabilisierungsfrist kann bei Aussagebereitschaft der Aufenthalt über einen -> kurzfristigen Aufenthaltstitel sichergestellt werden.
Eine Vorlage zur Bescheinigung über die Auslösung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist für die zuständige Ausländerbehörde ist in dem Rechtsgutachten der Servicestelle “Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist für potentielle Opfer von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung gem. § 59 Absatz 7 AufenthG” zu finden.
[1] Dies bedingt, dass vor einer Vernehmung über die Opferrechte belehrt werden muss.
Der Austausch und die Kooperation mit Fachberatungsstellen bei einem Anfangsverdacht auf Menschenhandel ist rechtlich geboten und kann wesentlich zum Ermittlungserfolg beitragen. Spezialisierte Beratungsstellen kümmern sich um die Stabilisierung, Beratung, Alimentierung und Unterbringung der Betroffenen. Diese Rahmenbedingungen müssen vorab gewährleistet werden, um eine Zeugenaussage zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass die Betroffenen für einen möglichen Prozess zur Verfügung stehen.
Detaillierte Informationen zu bundesweit agierenden Beratungsstellen sind über die Webseite der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel abrufbar. Die Beratungsstellen sind nach den Kategorien Bundesländer, Herkunft, Zielgruppe und Themenschwerpunkte sortiert.
Auch der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) e.V. stellt eine ausführliche Liste von Beratungsstellen zur Verfügung, die u.a. anderem auch Betroffene sexueller Ausbeutung beraten.
Bettelei ist das Sammeln von Almosen ohne Gegenleistung zum Lebensunterhalt. Mit der Reform der Menschenhandelstatbestände 2016 wurde Bettelei als Tatbestandsalternative in den §§ 232, 232b und 233 StGB aufgenommen. Eine strafbare Ausbeutung der Bettelei liegt dann vor, wenn das Opfer um einen wesentlichen Teil seiner Einnahmen gebracht wird. Ab 50% ist dies in jedem Fall anzunehmen (siehe -> auffälliges Missverhältnis).
Menschenhandel wird häufig als Delikt mit großen Beweisschwierigkeiten erachtet. In der Tat ist die Strafverfolgung in diesem Bereich anspruchsvoll: Die Strafnormen sind durchaus komplex, es ist kein Delikt aus der täglichen Routine weder für Staatsanwält*innen noch für Ermittler*innen und es gibt kein verkörpertes Tatsubstrat wie z.B. Waffen oder Drogen. Der Fokus auf zweierlei Punkte hat sich in der Praxis bereits als erfolgversprechend erwiesen: Zum einen ist die -> Indikatorenliste hilfreich, da sie mögliche Tatelemente aufzeigt und sich damit komplexe Tatvorgänge, die oft auch über einen längeren Zeitraum stattgefunden haben, herunterbrechen lassen. Zum anderen ist der/die Opferzeug*in Dreh- und Angelpunkt erfolgreicher Ermittlungsarbeit. Um hier belastbare Auskünfte zu erhalten, ist wiederum der – ohnehin aus menschenrechtlichen Verpflichtungen gebotene -> Opferschutz und die Umsetzung der -> Opferrechte grundlegend. Für den Erfolg eines Ermittlungsverfahrens maßgeblich ist eine möglichst frühzeitige (schon während laufender Durchsuchungsmaßnahmen), ausführliche und detaillierte Vernehmung des Opfers zu allen Aspekten des Beschäftigungsverhältnisses, die in der Regel unter Hinzuziehung eines Dolmetschers erfolgen sollte.
Chowdury u.a. gegen Griechenland
In diesem Fall vor dem EGMR (-> Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) klagten 42 Erntehelfer aus Bangladesch, die von Oktober 2012 bis Februar 2013 ohne Arbeitserlaubnis als Erdbeerpflücker in Griechenland arbeiteten. Für 22 Euro sollten sie insgesamt 7 Stunden täglich arbeiten. Überstunden wurden mit 3 Euro pro Stunde abgegolten. Tatsächlich mussten sie jeden Tag von 07:00 bis 19:00 Uhr arbeiten. Überwacht wurden sie von bewaffneten Männern, leben mussten sie in kleinen Hütten ohne Wasser und sanitäre Einrichtungen. Nach einem Streik im Frühjahr 2013 verlangten sie ihren Lohn. Der Arbeitgeber kam dem Gesuch jedoch nicht nach. Im April 2013 versuchte daher eine Gruppe der Betroffenen zu den Chefs vorzukommen, dabei schoss einer der Wächter mehrmals und verletzte 30 der Beschwerdeführer schwer. Im anschließenden Strafverfahren gegen den Wächter sowie die beiden Chefs wurde diesen versuchter Totschlag und Menschenhandel vorgeworfen. Schlussendlich wurden diese von den griechischen Strafgerichten jedoch nur wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. 35 der Erntearbeiter erhielten ein Schmerzensgeld von je 43 Euro für das erlittene Unrecht und dessen Folgen.
Der EGMR stellte in seinem Urteil fest, dass die griechische Strafjustiz den Begriff des Menschenhandels zu eng ausgelegt hat. Art. 4 EMRK erfasst auch die Arbeitsausbeutung als eine Variante des Menschenhandels. Das griechische Strafgericht hatte Menschenhandel auf -> Sklaverei reduziert. Sklaverei war jedoch in den Fällen der Beschwerdeführer nicht einschlägig. Der Gerichtshof führt aus, dass die Staaten gemäß Art 4 (2) der Konvention verpflichtet seien, für rechtliche und administrative Rahmenbedingungen zur Verhinderung von Zwangsarbeit zu sorgen. Die Arbeitsbedingungen im Betrieb und die Ausbeutung der Saisonarbeiter waren schon lange Zeit bekannt gewesen. Auch hatten sich einige der Saisonarbeiter erfolglos an die örtliche Polizeistelle gewandt. Die Behörden waren trotz alldem nicht eingeschritten. Der griechische Staat war daher seiner Verpflichtung, Arbeiter vor Ausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel zu schützen nicht nachgekommen. Weiterhin hätten die Konventionsstaaten für effektive Strafverfolgung sorgen, die zur Identifizierung der Täter und deren Bestrafung führt.
Der Gerichtshof kritisierte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, die die Anzeige einiger Beschwerdeführer zurückwies und darauf verwies, dass sie nicht betroffen sein könnten, sonst hätten sie sich früher gemeldet. Nach Auffassung des EGMR widerspricht dies Art. 13 der EMRK. Weiterhin kritisierte der EGMR, dass das Strafgericht die Angeklagten vom Vorwurf des Menschenhandels freigesprochen hat, weil die Arbeiter nicht ihrer Bewegungsfreiheit beraubt gewesen wären, sondern die Möglichkeit gehabt hätten, die Arbeitsstelle zu verlassen. Der Gerichtshof stellte fest, dass eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit nicht notwendige Voraussetzung für Zwangsarbeit oder Menschenhandel sei. Diese Tatbestände könnten auch bei völliger Bewegungsfreiheit der Opfer gegeben sein. Die Staatsanwaltschaft hatte sich geweigert, Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen, und damit gegen die Konvention verstoßen. Außerdem hatte das griechische Gericht die Angeklagten zur Zahlung von nur 43 Euro pro verletztem Arbeiter verurteilt. Art. 15 der EMRK verpflichtet die Staaten jedoch, den Opfern das Recht einzuräumen, Entschädigung von den Verantwortlichen zu erlangen. Der EGMR sprach 12.000 Euro bis 16.000 Euro pro Opfer zu.
Dieser Entscheidung des EGMR (-> Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerinnen, zwei Schwestern, französische Staatsangehörige, die 1978 bzw. 1984 in Burundi geboren wurden, verließen das Land nach dem Bürgerkrieg von 1993, in dem ihre Eltern getötet wurden. Sie kamen 1994 bzw. 1995 über ihre in Frankreich lebenden Tanten und Onkel (Herr und Frau M.) dorthin. Letztere waren bei einem
Familientreffen in Burundi mit der Vormundschaft und dem Sorgerecht für die Antragsteller und ihre jüngeren Schwestern betraut worden. Herr und Frau M. lebten mit ihren sieben Kindern, von denen eines behindert war, in einem Einfamilienhaus in Frankreich. Die Beschwerdeführerinnen wurden im Keller des Hauses untergebracht und mussten alle Hausarbeiten ohne Entgelt oder arbeitsfreie Tage ausführen. C.N. trug weiter vor, sie sei auch verpflichtet gewesen, sich um den behinderten Sohn von Herrn und Frau M. zu kümmern, auch gelegentlich nachts. Die Beschwerdeführerinnen machten geltend, sie hätten unter unhygienischen Bedingungen leben müssen, keine gemeinsamen Mahlzeiten mit der Familie zu sich nehmen dürfen und wurden täglich körperlich und verbal belästigt.
Nach Art. 4 EMRK gaben die Antragsteller an, dass sie Opfer von Sklaverei wurden und zur Ausübung von Zwangsarbeit verpflichtet waren. Schließlich machten sie unter Berufung auf Artikel 13 geltend, dass auf ihre Anschuldigungen hin keine wirksamen Ermittlungen von Seiten der französischen Behörden durchgeführt worden seien.
Der Gerichtshof hat in diesem Fall klargestellt, dass Zwangsarbeit dann vorliegt, wenn jemand gegen seinen Willen unter Androhung einer Strafe zu einer Arbeit gezwungen wird. Bei V. hat der Gerichtshof das Vorliegen von Zwangsarbeit verneint. Ihr wurden der Schulbesuch ermöglicht und insgesamt waren die von ihr im Haushalt erbrachten Tätigkeiten nicht unverhältnismäßig.
Im Fall der älteren Schwester hingegen lag der Fall anders. C. N. konnte keine schulische Ausbildung neben der Hausarbeit wahrnehmen. Ohne C. N. hätten Herr und Frau M. eine kostenpflichtige Haushälterin engagieren müssen. Ebenso wurde bezüglich C. N. die Leibeigenschaft bejaht, da aus ihrer Sicht die Situation ausweglos war und eine Flucht zwingend die Rückkehr nach Burundi und damit höchstwahrscheinlich den Tod bedeutet hätte. Bei V. ist keine Leibeigenschaft angenommen worden, da diese beispielsweise aufgrund des Schulbesuchs weit weniger isoliert lebte. Der französische Staat hatte es aber unterlassen, effektive rechtliche und administrative Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Leibeigenschaft zu schaffen und hierdurch Art. 4 EMRK verletzt. Weiterhin hat die Staatsanwaltschaft keine Revision gegen den teilweisen Freispruch durch das Strafgericht eingelegt, was ebenso als Verstoß gewertet wurde.
An dieser Entscheidung zeigt sich, wie hoch die verbindlichen Anforderungen an einen effektiven administrativen Rahmen und entschiedenes Handeln der Strafverfolgungsbehörden sind und dass hier teils erheblicher Nachholbedarf in der Rechtspraxis besteht.
Das Einschleusen von Ausländern ist in § 96 AufenthG als Nebenstrafrecht geregelt. Der zentrale Unterschied zwischen Schleusung und Menschenhandel ist, dass Menschenhandel vor allem eine Straftat gegen die (Entscheidungs-)Freiheit einer Person darstellt, während das Einschleusen von Personen gegen die Rechtsvorschriften zum Schutz der Grenzen verstößt.[1] Natürlich sind auch Konstellationen möglich, in denen beides kumulativ vorliegt oder sogar ineinander übergeht: So können Personen, die sich in die Hände eines/einer Schleusers*Schleuserin begeben, konsekutiv auch Opfer von Menschenhandel werden. Gleichsam kann bei der Strafverfolgung von Menschenhandel § 96 AufenthG einen effektiven Hilfstatbestand darstellen. Die Tatbestandsvoraussetzungen werden hier in vielen Konstellationen einfacher nachzuweisen sein, so genügt beispielsweise für den notwendigen Vermögensvorteil der Nachweis einer jedweden günstigeren Gestaltung der Vermögenslage.[2] Durch den Strafrahmen von 6 Monaten bis 10 Jahren in § 96 Abs. 2 AufenthG bei z.B. gewerbsmäßigem Handeln wird eine wirkungsvolle Ahndung ermöglicht.
[1] Europäische Kommission, SEK(2009), 359, S. 2.
[2] BGH BeckRS 2017, 141240 Rn. 5; BGH NJW 1989, 1435.
Das in § 232 Abs. 2 und § 232b Abs. 3 StGB enthaltene Tatbestandsmerkmal des empfindlichen Übels entspricht dem Begriff des Nötigungstatbestandes, § 240 StGB. Der Begriff des Übels ist weit zu verstehen, der/die Täter*in muss den angekündigten Nachteil jedoch hinreichend konkretisieren, pauschale und unspezifizierte Drohungen genügen dafür i. d. R. nicht.[1] Empfindlich ist das Übel dann, wenn es so erheblich ist, dass es geeignet erscheint, den Bedrohten zu dem vom Täter gewünschten Verhalten zu veranlassen.[2] Tatbestandsmäßig ist beispielsweise die Drohung, den Pass und die persönliche Habe des Opfers nicht herauszugeben, wenn dieses sich nicht bereit erklärt, die vom Täter gewünschten Handlungen (oder Unterlassungen) vorzunehmen.[3]
[1] Valerius in: BeckOK StGB, § 232 StGB, Rn 36 f.
[2] BGH, Urteil vom 08.01.1987 – 1 StR 683/86 – NStZ 1987, 222.
[3] BGH, Urteil vom 21. 10. 1999 – 4 StR 376/99 – NStZ 2000, 86.
Im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit der Europäischen Union (EU) ist es möglich Arbeitnehmer*innen innerhalb der EU zu entsenden. Rechtsgrundlage sind die Art. 54, 56-62 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Die überarbeitete Entsenderichtlinie (2018/957/EU) legt fest, dass die Entsendung 12 Monate dauern kann, mit einer Verlängerungsoption von sechs Monaten. Weiterhin legt sie fest, dass vom ersten Tag an sämtliche Vorschriften für Arbeitnehmer*innen des Aufnahmestaates auch für die entsandten Beschäftigten gelten. Es gilt der Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Ausgenommen ist derzeit der Transportsektor. In Deutschland ist es die tarifliche Entlohnung, wobei der Mindestlohn beziehungsweise die durch das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) festgelegten branchenspezifischen Mindestlöhne die Lohnuntergrenze darstellen. Der Nachweis der Krankenversicherung im Entsendeland wird durch die A-1-Bescheinigung belegt. Die Entsendung der Arbeitnehmer*innen erfolgt im Rahmen von Werkverträgen, Dienstleistungen oder Leiharbeit.
Menschenhandel ist überwiegend ein Kontrolldelikt und bedarf hinsichtlich einer effektiven Strafverfolgung proaktiver Ermittlungsmaßnahmen. Maßnahmen wie Observation und/oder Einsatz verdeckter Ermittler sowie Vertrauenspersonen bieten sich je nach Lage des Falles an. Die Telekommunikationsüberwachung ist gem. § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit i) StPO bei Verdacht auf Straftaten nach §§ 232, 232a Abs. 1 bis 5, 232b, 233 Abs. 2, und 233a StGB möglich. Zur Genehmigung dieser ressourcenintensiven, aber als sehr erfolgversprechend geltenden Ermittlungsmaßnahmen,[1] bedarf es zuweilen eines nachdrücklichen Einsatzes der zuständigen Ermittlungsbeamt*innen. Jüngst wurden durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch[2] die Befugnisse der FKS für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen erweitert, u.a. bei der Überwachung der Telekommunikation. Aber auch prozessual wurde die FKS nun umfassender eingebunden: Im Ordnungswidrigkeitenverfahren durch Schaffung eines eigenständigen Mitwirkungsrechts in der Hauptverhandlung sowie im Strafverfahren durch die Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, unter bestimmten Voraussetzungen die Ermittlungsbefugnisse an die Behörden der Zollverwaltung abzugeben.
[1] Kestermann/Rump/Busse, in: KOK e.V., Studie Entwicklung tragfähiger Unterstützungstrukturen für die Betroffenen von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, 99f., 111, 118.
[2] In Kraft getreten am 18.07.2019, BGBl. I S. 1066.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt sicher, dass die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eingehalten werden. Sind die innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft, können sich Privatpersonen an den EGMR wenden. Die vom EGMR gefällten Urteile sind für die Staaten bindend und haben bereits dazu geführt, nationale Gesetze und die nationale Rechtspraxis zu ändern.
Hinsichtlich der hier zugrunde liegenden Thematik sind insbesondere die Fälle von Interesse, die Artikel 4 (Verbot von Menschenhandel, Sklaverei und der Zwangsarbeit) der Europäischen Menschenrechtskonvention betreffen. -> Chowdury u.a. gegen Griechenland, -> C.N. und V. gegen Frankreich, -> Issa Pene gegen Deutschland und -> Rantsev gegen Zypern und Russland geben Aufschluss über die Auslegung des EGMR zu Artikel 4 der EMRK im Bereich der Arbeitsausbeutung.
Die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer, wurde in nationales Recht umgesetzt.[1] Sie gibt Mindeststandards für die Definition von Straftaten im Bereich Menschenhandel vor. Die deutsche Reform der Menschenhandels-Straftatbestände von 2016 reflektiert diese Vorgaben. Ebenfalls enthält die Richtlinie Bestimmungen, die Prävention und Opferschutz stärken. Folgende Inhalte sind für die Ermittlungsarbeit hervorzuheben[2]:
- Artikel 2, Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel
Das Einverständnis eines Opfers von Menschenhandel zur beabsichtigten oder tatsächlich vorliegenden Ausbeutung ist unerheblich […]
- Artikel 8, Verzicht auf Strafverfolgung oder Straffreiheit der Opfer
Opfer von Menschenhandel, die an strafbaren Handlungen beteiligt waren, zu denen sie sich im Kontext von Menschenhandels-Straftaten gezwungen sahen, dürfen von den zuständigen Ermittlungsbehörden nicht strafrechtlich verfolgt werden oder es muss von einer Bestrafung abgesehen werden.
- Artikel 9, Ermittlung und Strafverfolgung
Die Strafverfolgung darf nicht von der Anzeige des Opfers abhängig gemacht werden. Das Strafverfahren sollte auch dann fortgesetzt werden, wenn das Opfer die Aussage widerruft.
- Artikel 11, Unterstützung und Betreuung von Menschenhandelsopfer
Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfern vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens Unterstützung und Betreuung erhalten, damit sie in der Lage sind, die in dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI und in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte in Anspruch zu nehmen.
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Person Unterstützung und Betreuung erhält, sobald den zuständigen Behörden berechtigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass gegen diese Person eine der Straftaten gemäß Artikel 2 und 3 verübt worden sein könnte.
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Unterstützung und Betreuung eines Opfers nicht von dessen Bereitschaft, bei den strafrechtlichen Ermittlungen, der strafrechtlichen Verfolgung oder beim Gerichtsverfahren zu kooperieren, abhängig gemacht wird.[3]
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Opferbetreuungsorganisationen geeignete Verfahren für die frühzeitige Erkennung, Unterstützung und Betreuung von Opfern festzulegen.
Die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen im Sinne der Absätze 1 und 2 werden bereitgestellt, nachdem die Opfer über die Maßnahmen aufgeklärt wurden und dazu ihr Einverständnis gegeben haben, und umfassen mindestens die Mittel zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Opfer durch Maßnahmen wie die Bereitstellung einer geeigneten und sicheren Unterbringung und materielle Unterstützung sowie die notwendigen medizinischen Behandlungen einschließlich psychologischer Hilfe, Beratung und Information sowie bei Bedarf Übersetzungs- und Dolmetscherleistungen.
Die Mitgliedstaaten schenken Opfern mit besonderen Bedürfnissen besondere Beachtung, wenn diese besonderen Bedürfnisse sich insbesondere aus der Möglichkeit einer Schwangerschaft, ihrem Gesundheitszustand, einer Behinderung, einer geistigen oder psychischen Störungen oder aus anderen schwerwiegenden Formen der psychologischen, körperlichen oder sexuellen Gewalt, denen sie ausgesetzt waren, herleiten.
[1] Wo die nationale Umsetzung lückenhaft ist, ist die Richtlinie, soweit sie konkrete, unbedingte Vorgaben trifft, unmittelbar und vorrangig gegenüber nationalen Regelungen anzuwenden. Nationale Regelungen sind richtlinienkonform auszulegen, d.h. so anzuwenden, dass der Sinn und Zweck der Richtlinie bestmöglich erreicht wird.
[2] Ausführlich hierzu Lindner, Die Effektivität transnationaler Maßnahmen gegen Menschenhandel in Europa, S. 154 ff.
[3] Zumindest die Unterstützung während der Bedenkzeit darf nicht an eine Kooperation gekoppelt werden.
Fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit
Die fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisungen § 7 SGB II trifft in Abschnitt 2.4.7.4 Regelungen zur Versorgung von Unionsbürgern, die Opfer von Menschenhandel oder Arbeitsausbeutung geworden sind oder sich in der -> Bedenk- und Stabilisierungsfrist befinden. Die betroffenen Personen erhalten Leistungen nach SGB II.
Fortbildungen zum Umgang mit den Menschenhandelsstraftatbeständen, zur Vernetzung und zur Unterstützung Betroffener, werden bundesweit von unterschiedlichen Akteuren angeboten. Für Polizei-Mitarbeiter*innen sind insbesondere die Veranstaltungen des Bundeskriminalamtes zu nennen. Der Bedarf wird sich durch die Ausweitung der Prüfungsaufgaben um die Menschenhandelsstraftatbestände allerdings erhöhen. Neben weiteren Akteuren bietet die Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel bundesweit Schulungen an und hat bereits zahlreiche Fortbildungen insbesondere mit Mitarbeiter*innen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit durchgeführt. Ebenfalls führt sie jährlich eine Veranstaltung für Staatsanwält*innen durch. Weitere Informationen gibt es unter http://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/ueber-uns/#schulungsangebot.
Die Generalunternehmerhaftung nach § 28e IIIa bis IIIe SGB IV soll die illegale Beschäftigung im Baugewerbe bekämpfen, indem sichergestellt wird, dass der Generalunternehmer (Hauptunternehmer) bei Säumigkeit des Nachunternehmers für dessen sozialversicherungsrechtliche Zahlungspflichten aufkommt. Derzeit wird die Ausweitung auf weitere Branchen, wie z.B. Paketdienstleistungen, diskutiert. Zur Durchsetzung des Mindestlohns enthält auch das Mindestlohngesetz (MiLoG) eine Generalunternehmerhaftung, hier entsprechend der Subsidiärhaftung des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) und dies branchenübergreifend. Wird bei einer Fremdvergabe von Aufträgen der Auftragnehmer insolvent, so haftet der Auftraggeber für die Subunternehmer bei Mindestlohnverstößen wie ein Bürge.
Zur Einordnung, ob es sich um einen Straftatbestand Menschenhandel, Zwangsarbeit oder Ausbeutung der Arbeitskraft handelt, arbeiten Behörden und zivilgesellschaftliche Akteure mit Indikatorenlisten. Die Indikatorenliste der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel beinhaltet Fragestellungen zur Anwerbung von Arbeitnehmer*innen sowie zu Zwangsverhältnissen im Arbeitskontext. Faktoren, die eine Zwangssituation befördern, können Verschuldung, Isolation und Überwachung, diverse Einschüchterungstaktiken, Einbehalten des Lohns oder Ausnutzung der Unkenntnis arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen sein. Des Weiteren werden Indikatoren zu ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen und branchenspezifische Indikatoren dargestellt. Die Indikatorenliste ist zu finden unter D. Praxishilfen.
Internationale Verpflichtungen (Europarat-GRETA)
Mit der Ratifizierung internationaler Verträge und Richtlinien, wie der -> EU-Richtlinie 2011/36/EU, der Europäischen Menschenrechtskonvention, sowie der Konvention des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels, steht Deutschland in der Pflicht zur Einhaltung und Umsetzung der inhaltlichen Vorgaben. Im Rahmen der Konvention des Europarates wurde ein Überwachungsmechanismus in Form einer unabhängigen Expert*innengruppe GRETA eingerichtet. Diese bewertet die Umsetzung der Konvention der teilnehmenden Länder, indem sie Länderbesuche durchführt und auf Basis von Fachgesprächen mit Behörden, Zivilgesellschaft und weiteren relevanten Akteuren Berichte veröffentlicht. Diese GRETA-Berichte zu Deutschland, Konvention des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels enthalten Bewertungen sowie Empfehlungen und Aufforderungen. Die Expertengruppe GRETA geht auch auf Umsetzungsdefizite der internationalen Verpflichtungen zum Schutz von Opfern und der Verfolgung der Täter*innen konkret ein und benennt auch Einzelfälle.
Konkrete Anhaltspunkte/berechtigte Gründe
Der Begriff der “konkreten Anhaltspunkte” dafür, dass eine Person Opfer von Menschenhandel wurde, entstammt § 59 Abs. 7 AufenthG. Liegen diese vor, so ist über die Opferrechte aufzuklären und eine mindestens dreimonatige -> Bedenk- und Stabilisierungsfrist zu gewähren. Die Schwelle für das Vorliegen der konkreten Anhaltspunkte ist niedrig und noch unterhalb der Schwelle des Anfangsverdachts anzusiedeln. Die zu Grunde liegende Richtlinie 2011/36/EU spricht in Art. 11 Abs. 2 von “berechtigten Gründen für die Annahme […] dass Menschenhandel vorliegen könnte”.[1] Es reicht also die Möglichkeit einer Menschenhandelsstraftat aus. Sofern sich mehrere Indikatoren der -> Indikatorenliste feststellen lassen, ist dies in jedem Fall gegeben.
[1] Lindner, Die Effektivität transnationaler Maßnahmen gegen Menschenhandel in Europa, S. 163.
Der Kontaktabbruch zwischen Opfer und Täter ist eine der Voraussetzungen des § 25 Abs. 4a AufenthG für die Erteilung eines -> kurzfristigen Aufenthaltstitels. Dabei ist jedoch zu beachten, dass erzwungener Kontakt seitens des Täters keinen Ausschlussgrund darstellt. Dass die Täter auch häufig über Mobiltelefone Kontrolle über die Opfer ausüben und im Zweifel den Standort ausfindig machen können, ist bei der Bewertung der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen für die Betroffenen zu berücksichtigen.
Kooperationsvereinbarungen der Bundesländer
Kooperationsvereinbarungen regeln die Zusammenarbeit zwischen Polizei und spezialisierten Beratungsstellen auf Länderebene. Weitere Akteure wie Ausländerbehörden, Staatsanwaltschaften oder Ministerien können involviert sein. Kooperationsvereinbarungen bestehen in fast allen Bundesländern, die meisten davon regeln jedoch den Umgang mit Betroffenen von Zwangsprostitution. Es gibt zunehmend Bundesländer, wie z.B. Hamburg und Baden-Württemberg, deren Kooperationsvereinbarungen auch Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft behandeln und somit auch entsprechende Akteure wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit involvieren. Die Kooperation der unterschiedlichen Behörden sowie Fachberatungsstellen auf regionaler und lokaler Ebene ist ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche und effiziente Ermittlungsverfahren. Da gerade bei der Unterbringung und Gewährleistung der Sicherheit identifizierter Opfer schnelles Handeln erforderlich ist, lohnt es sich, behördenübergreifende Kontakte zu pflegen.
Kurzfristiger Aufenthaltstitel
Zurückgehend auf Verpflichtungen aus der Richtlinie 2004/81/EG wurden in § 25 Abs. 4a und 4b AufenthG Möglichkeiten für einen kurzfristigen Aufenthaltstitel für Opfer von Menschenhandel geschaffen, so nachzulesen in Lindner, Aufenthaltsmöglichkeiten für Opfer von Menschenhandel aus Drittstaaten, 2014, KOK. Die dortigen Regelungen knüpfen an die -> Bedenk- und Stabilisierungsfrist des § 59 Abs. 7 AufenthG an. Besteht die Bereitschaft zur Aussage gegen die Täter*innen, so wird die Staatsanwaltschaft regelmäßig die Erforderlichkeit des weiteren Aufenthalts bejahen, um die Aussage strafprozessual verwerten zu können. Gemäß § 26 Abs 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis jeweils für ein Jahr zu erteilen und verlängerbar. Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern (§ 25 Abs. 4a S. 3 AufenthG). Zudem müssen die Behörden vor einer Aufenthaltsbeendigung prüfen, ob Abschiebungshindernisse vorliegen, etwa ob Verfolgung durch das Täternetzwerk im Herkunftsland droht oder die Gefahr von -> Re-Trafficking besteht.
Das in § 232 Abs. 2 und § 232b Abs. 3 StGB enthaltene Tatbestandsmerkmal der List richtet sich gegen die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Opfers. Darunter fällt jedes Verhalten, “das darauf abzielt, unter geflissentlichem oder geschicktem Verbergen der wahren Absichten und Umstände die Ziele des Täters durchzusetzen. Das kann auf vielerlei Weisen geschehen: So kann beispielsweise der/die Täter*in dem Opfer den Zweck des Anwerbens verschleiern, indem er es zum Schein für eine seriöse Tätigkeit anwirbt.”[1]
[1] Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 232, Rn. 85.
Lukrativität von Menschenhandel/Arbeitsausbeutung
Menschenhandel wird immer wieder als ähnlich lukrativ wie Waffen- oder Drogenhandel bezeichnet.[1] Während Waffen oder Drogen nur einmal verkauft werden können, macht bei den Ausbeutungstatbeständen die wiederholte und dauerhafte erzwungene Leistung das Deliktsfeld für die Täter lukrativ. Bei einer Auswertung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten aus vier Bundesländern ergaben sich beispielsweise Fälle mit folgender Ertragsspanne für die Täter: Bei einer erzwungenen Betteltätigkeit konnte der Täter mit 750€ pro Monat pro Opfer erzielen. Bei einer Spezialitätenköchin mit extremer Wochenstundenleistung hingegen ersparte sich der Täter monatlich 4.400€ an Lohn und Sozialabgaben. Im Ergebnis können Täter unproblematisch 1.500 – 3.000€ an Arbeitskosten pro Arbeitnehmer und Monat durch Menschenhandel und Arbeitsausbeutung einsparen. Bei mehreren Opfern ergeben sich so sehr schnell hohe Beträge, die zur wirksamen Bekämpfung durch -> Vermögensabschöpfung den Täter*innen entzogen werden müssen.
[1] Lindner, Die Effektivität transnationaler Maßnahmen gegen Menschenhandel in Europa, S. 36ff.
Von Menschenhandel wird gesprochen, wenn Personen mit falschen Versprechungen oder Täuschungen, durch Machtmissbrauch, oder auch durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt in Ausbeutungssituationen gebracht werden.
Die Definition von Menschenhandel enthält drei wesentliche Elemente:
- die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder den Empfang von Personen;
- die Nutzung von Mitteln wie Täuschung oder Betrug, die Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, oder auch die Ausnutzung einer Zwangslage oder einer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist;
- das Ziel Menschen auszubeuten.
Diese drei Elemente sind sowohl in der internationalen Definition von Menschenhandel enthalten (entsprechend dem „Palermo Protokoll“ der Vereinten Nationen), wie auch im deutschen Strafrecht (§ 232 StGB).
Menschenhandel beschränkt sich hierbei nicht auf den Bereich Arbeit. Die Ausbeutung kann unterschiedliche „Zwecke“ verfolgen. Diese umfassen die sexuelle Ausbeutung oder Prostitution, den Zweck der ausbeuterischen Beschäftigung, die erzwungene Betteltätigkeit oder die Organentnahme, die Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen, sowie den Zweck, Menschen in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft zu bringen.
Am 01. Januar 2015 wurde der gesetzliche Mindestlohn in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Seit 2018 gilt er für alle Branchen und regelt die absolute Lohnuntergrenze. Seit 2019 liegt der Mindestlohn bei 9,19 Euro pro Stunde und erhöht sich 2020 auf 9,35 Euro pro Stunde. Häufig müssen höhere Stundenlöhne bezahlt werden, und zwar dann, wenn Branchenmindestlöhne vorgegeben sind. Der Mindestlohn gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer*innen über 18 Jahren. Das schließt auch ausländische Arbeitnehmer*innen, Saisonarbeiter*innen und entsandte Beschäftigte mit ein.[1]
[1] Deutscher Gewerkschaftsbund, Gesetzlicher Mindestlohn und Branchenmindestlöhne, 2019, unter: https://www.dgb.de/schwerpunkt/mindestlohn/mindestlohn-2019-was-aendert-sich-in-2019.
Im Rahmen der Umsetzung der -> EU-Richtlinie 2011/36/EU wurden die Straftatbestände 2016 umfassend geändert und damit der internationalen Menschenhandels-Definition angepasst. Neben einer neuen Terminologie der Straftatbestände, wurde der neue Straftatbestand Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) hinzugefügt. Weiterhin sind neue Ausbeutungsformen wie die erzwungene Betteltätigkeit, das Ausnutzen strafbarer Handlungen und die Organentnahme hinzugekommen.
Non-Punishment-Prinzip (§ 154 c Abs. 2 StPO)
Das Absehen einer strafrechtlichen Verfolgung von Opfern von Menschenhandel bei der Begehung strafbarer Handlungen im Kontext einer Zwangslage ist gemäß der -> Richtlinie 2011/36/EU Artikel 8 in jedem nationalen Recht zu regeln. In der Strafprozessordnung wurde hierzu § 154 c Absatz 2 StPO geschaffen. Das Non-Punishment-Prinzip ist insbesondere bei dem Tatbestand der Ausübung der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen relevant. In Deutschland bekannt gewordene Fälle der Ausnutzung strafbarer Handlungen sind u.a. die des Kreditkartenbetrugs oder der Diebstähle in Kaufhäusern. § 154 c Abs. 2 StPO soll diejenigen schützen, die keine andere Wahl hatten, als sich dem Zwang der Täter*innen zu beugen. Das Absehen einer Strafverfolgung etwa im Kontext der illegalen Beschäftigung oder eines irregulären Aufenthalts eines Betroffenen von Menschenhandel ermutigt diesen ebenfalls dazu im Strafverfahren gegen den/die Täter*innen auszusagen. In der Praxis ist diese Vorschrift weit auszulegen, denn es besteht das Risiko, dass aus Gründen der begrenzten Ermittlungsressourcen beispielsweise Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht der Opfer, die einfach zu ermitteln sind, bzw. auch auf Selbstoffenbarung dieser beruhen können, zu verfolgen, während die Ermittlung der Menschenhändler mehr Aufwand erfordert. Die Täter setzen den Opfern gegenüber drohende Sanktionen gezielt zur Einschüchterung ein, wie z.B. aufenthaltsrechtlicher Art.
Opfer von Gewalttaten haben Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Um diese geltend machen zu können, gibt es bestimmte Voraussetzungen. Zudem richten sich mögliche Ansprüche nach der Dauer des Aufenthalts und Art des Aufenthaltstitels der Betroffenen.
Wenn die Betroffenen sich im Rahmen eines Arbeitsunfalls verletzt haben oder aufgrund der Tätigkeit krank geworden sind, haben sie Ansprüche nach der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV). So können beispielsweise Behandlungskosten übernommen werden und in Fällen, bei denen es zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit kommt, auch Ansprüche auf eine Verletztenrechte bestehen. Die Ansprüche gelten unabhängig von Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnis.
Betroffenen von Menschenhandel stehen besondere Rechte zu. Stellen Ermittlungsbehörden -> konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Menschenhandelsstraftat fest, so haben Betroffene einen Anspruch auf eine mindestens dreimonatige -> Bedenk- und Stabilisierungsfrist. Erklärt sich der/die Betroffene anschließend bereit im Strafprozess als Zeug*in auszusagen, wird ihm/ihr unter bestimmten Voraussetzungen für die Dauer des Strafprozesses eine -> Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a AufenthG erteilt. Die Ermittlungsbehörde setzt die zuständige Ausländerbehörde über die Notwendigkeit der Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis in Kenntnis, die Ausländerbehörde hat der Einschätzung der Strafverfolger zu folgen, hierzu auch VG München, Beschluss v. 28.06.2018 – M 1 S 17.51745. Damit einher gehen Leistungsansprüche nach SGB II bzw. SGB XII. EU-Bürger*innen benötigen aufgrund der EU-Freizügigkeit keine Aufenthaltserlaubnis. Aufgrund des Verbots der Schlechterstellung nach § 11 des Freizügigkeitsgesetzes/EU haben jedoch auch EU-Bürger*innen einen Anspruch auf die genannten Leistungen. Eine -> fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit bestätigt diesen Anspruch für EU-Bürger*innen, so in Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisungen § 7 SGB II.
Neben der -> Vermögensabschöpfung ist ein effektiver Opferschutz die zentrale Säule eines erfolgreichen Vorgehens gegen die Täter. Die Betroffenen sind in der Regel das aus Ermittler*innensicht wertvollste Beweismittel. Durch eine konsequente Umsetzung der -> Opferrechte in der Praxis wird eine Schutz- und Vertrauensbasis geschaffen, die die Aussagebereitschaft fördert. Darüber hinaus ist Menschenhandel eine der grundlegendsten Verletzungen der Menschenwürde der Betroffenen. Effektiver Opferschutz ermöglicht den Betroffenen, diese Würde zurückzuerlangen. Betroffene in Sicherheit und mit einer Zukunftsperspektive sind das beste Mittel gegen -> Re-Trafficking.
Juristische Personen und Personenvereinigungen können im Bußgeldrecht zur Verantwortung gezogen werden. Unternehmen können nach § 30 OWiG belangt werden, wenn Leitungspersonen eine betriebsbezogene Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen. Betriebsinhaber und ihnen nachgeordnete Personen können nach § 130 OWiG belangt werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine betriebsbezogene Straftat oder Ordnungswidrigkeit etwa durch die Unterlassung erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen ermöglicht oder begünstigt worden ist. Möglich ist ebenfalls die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 29a OWiG und die Gewinnabschöpfung nach § 17 Abs. 4 OWiG in Bezug auf die Verfolgung von Unternehmen.[1] Solange in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht realisiert ist, kann das Ordnungswidrigkeitenrecht, wenn es konsequent angewandt wird, ein effektives Mittel sein, um juristische Personen zu sanktionieren – denn nur eine nachdrückliche Gewinn-/-> Vermögensabschöpfung erzielt nachhaltige Wirkung gegen Menschenhandel.
[1] Menschenhandel und Arbeitsausbeutung in der Wirtschaft – Risiken durch Nachfragen und Lieferketten, EU-Projekt NET-COMBAT-THB-CHAIN, 2019, S. 9-10, unter: https://www.vij-wuerttemberg.de/images/pdf/Studie_Wirtschaft-Menschenhandel.pdf.
Diesem Fall vor dem EGMR[1] liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Als Kind war der staatenlose Beschwerdeführer zunächst Bettelsklave in einer Koranschule im Senegal, danach Kinderarbeiter auf den Baustellen seines einflussreichen Onkels. Später verkaufte ihn sein Onkel an einen Bekannten nach Mauretanien. Dort musste er schwere körperliche Arbeiten verrichten. Führte er diese Arbeiten nicht aus, wurde er verprügelt. Der Beschwerdeführer vertraute sich einer Marktfrau an, die ihm schließlich zur Flucht verhalf. Er kehrte in sein Heimatdorf zurück, da er glaubte sein Onkel würde ihn bei sich behalten, wenn er von den Misshandlungen erfuhr. Der Beschwerdeführer wurde jedoch erneut zurück zu seinem Bekannten geschickt. Mit 18 Jahren gelang ihm ein weiteres Mal die Flucht von Mauretanien zurück in den Senegal. Dieses Mal ging der Beschwerdeführer zur örtlichen Polizei. Doch anstatt gegen die Sklavenhändler vorzugehen, übergaben ihn die Polizeibeamten seinem Onkel. Dieser übergab ihn ein drittes Mal an den Sklavenhändler. Dieser und zwei Mittäter schafften den Beschwerdeführer daraufhin im Kofferraum eines Wagens in die Wüste und schlugen ihn brutal mit einem Gewehrkolben zusammen. Unter Einsatz seiner Waffe drohte der Sklavenhändler, dass er den Beschwerdeführer finden und töten würde, sollte er noch einmal versuchen zu fliehen. Wegen der unerträglichen Arbeiten wagte der Beschwerdeführer drei Jahre später erneut die Flucht. Es gelang ihm schließlich, über Marokko und Spanien nach Deutschland zu fliehen.
Doch weder im Asylverfahren noch im anschließenden nationalen Gerichtsverfahren wurde ihm ein Schutzstatus zugesprochen. Zwar zweifelten die nationalen Gerichte nicht am Verfolgungsschicksal des Beschwerdeführers. Sie sahen jedoch keine Gefahr für den Beschwerdeführer, bei einer Rückkehr erneut Opfer von Menschenhandel zu werden.
Der Beschwerdeführer rügt vor dem EGMR die Verletzung von Art. 4 EMRK. Für diesen besteht ein reales Risiko erneut Opfer von Sklaverei und Menschenhandel zu werden, sollte er aus Deutschland in den Senegal abgeschoben werden. Deutschland muss daher im Sinne der Schutzpflichten des Art. 4 EMRK von einer Abschiebung absehen. Der Beschwerdeführer rügt weiterhin die Verletzung von Art. 2, 3 EMRK. Durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden, gar das Leben gefährdende Behandlung führten, würden Art. 2, 3 EMRK verletzt. Da der Beschwerdeführer zum ersten Mal in seinem Leben in Deutschland ein Privatleben führen könne, verletzten aufenthaltsbeendende Maßnahmen Art. 8 EMRK. Diese würden es dem Beschwerdeführer unmöglich machen ein Privatleben aufzubauen. Schlussendlich rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 13 EMRK. Die nationalen Gerichte haben u.a. die Beweislastregeln von EMRK und Unionsrecht verkannt, sowie durch die Vermutungsregelung der „sicheren Herkunftsstaaten“ (§ 29a AsylG) den Beweismaßstab derart überspannt, dass diese Vermutung für den Beschwerdeführer de facto nicht widerlegbar war. Über die seit April 2019 anhängige Beschwerde ist vom EGMR noch nicht entschieden worden.
[1] EGMR, Issa Pene. v. Deutschland, Beschwerde vom 16.04.2019, Az. 22234/19.
Persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage
In einer Zwangslage befindet sich ein Opfer, wenn dessen Lebensumstände eine ernsthafte, jedoch nicht unbedingt existenzbedrohende persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis begründen, die zu einer wesentlichen Einschränkung des Entscheidungs- und Handlungsspielraums des Opfers führen und damit den Widerstand gegen Angriffe auf dessen persönliche Freiheit zu vermindern droht. Es ist unerheblich ob der Täter die Zwangslage selbst geschaffen oder diese nur vorgefunden hat.[1]
In praktischer Betrachtung sind hier v.a. die Fälle zu nennen in denen im Heimatland bedrückende Armut herrscht. Aber auch bei Wohnungs- oder Arbeitslosigkeit, der Angst aufgrund eines ungesicherten Aufenthaltsstatus in das Heimatland abgeschoben zu werden oder aufgrund einer fehlgeschlagenen Ehevermittlung im Heimatland geächtet zu werden, können eine Zwangslage begründen.[2]
Die Zwangslage ist des Weiteren immer aus der subjektiven Sicht des Opfers zu beurteilen, sie muss also nicht objektiv bestehen. Auch mit Blick auf die freiheitsbeschränkende Wirkung ist das Verständnis des Opfers maßgeblich. Es reicht also aus, wenn sich dieses beispielsweise durch seine Drogensucht zur Prostitution gezwungen sieht, um den Drogenerwerb zu finanzieren.[3] Es ist außerdem nicht von Bedeutung, ob die Zwangslage für das Opfer vermeidbar war.[4]
[1] Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 232, Rn. 11.
[2] Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 232, Rn. 14.
[3] Valerius in: BeckOK StGB, § 232 StGB, Rn. 6 f.
[4] Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 232, Rn. 36. sowie Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, § 232, Rn. 11.
Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930
Das Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit ist eine Anpassung und Aktualisierung des Übereinkommens 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation von 1930. Mit der Annahme des Gesetzentwurfs am 11.04.2019 durch den Deutschen Bundestag, ist der Ratifizierungsprozess auch in Deutschland auf dem Weg und somit sind die Inhalte des Protokolls für die Bundesregierung demnächst bindend. Inhaltlich einigten sich Regierungen, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften darauf, dass nationale Aktionspläne geschaffen werden, die den Opfern Schutz und wirksame Abhilfemaßnahmen wie Entschädigungen gewährleisten, aber auch eine intensivere Verfolgung der Täter*innen durchgesetzt wird. Weiterhin geht es um die Stärkung der Arbeitsaufsichtsdienste und die Ausweitung des Arbeitsrechts auf alle Wirtschaftssektoren als auch die Unterstützung der Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen, um Risiken von Zwangsarbeit vorzubeugen. Wie auch in der -> EU-Richtlinie 2011/36/EU bezieht sich Artikel 4 (2) auf das -> Non-Punishment-Prinzip.[1]
Die dem Protokoll beiliegenden Empfehlungen sehen ebenfalls vor, Maßnahmen zu ergreifen, die Opfer durch Gewinnabschöpfung und Einziehung der Vermögenswerte entschädigt (13b) als auch, dass juristische Personen strafrechtlich verfolgt werden können (13c). Zusätzlich sollen die Bemühungen um die Ermittlung von Opfern gestärkt werden, etwa durch die Entwicklung von Zwangsarbeitsindikatoren (-> Indikatorenliste) u.a. für Mitarbeiter*innen der Strafverfolgungsbehörden (13d).[2]
[1] Internationale Arbeitskonferenz, Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930, unter: https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_319064.pdf.
[2] Internationale Arbeitskonferenz, Empfehlung 203 – Empfehlung betreffend ergänzende Maßnahmen zur effektiven Beseitigung von Zwangsarbeit, 2014, unter: http://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/wp-content/uploads/2018/08/ILO-Empfehlungen-zum-Protokoll-2014-1.pdf.
Prüfgegenstände in Zuständigkeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS)
Die Prüfgegenstände der FKS wurden mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Missständen am Arbeitsmarkt, illegaler Beschäftigung sowie von Kindergeld- und Sozialleistungsmissbrauch um die Straftatbestände des Menschenhandels im Kontext von Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft erweitert. Das Gesetz ist seit dem 18. Juli 2019 in Kraft.[1] Damit ist neben der Polizei jetzt auch gesetzlich geregelt, dass die FKS für die Ermittlung der genannten Straftatbestände zuständig ist. Damit einher gehen zukünftige Sensibilisierungsmaßnahmen für FKS-Beamt*innen im genannten Themenfeld. Nähere Informationen zum Schulungsangebot der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel sind online abrufbar.[2]
[1] Gewerkschaft der Polizei, Neues Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz tritt in Kraft, 2019, unter: https://www.gdp.de/gdp/gdpbupo.nsf/id/DG_13_BZGZoll_Neues-Schwarzarbeitsbekaempfung-ist-in-Kraft?open&ccm=100.
[2] http://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/ueber-uns/#schulungsangebot.
Rantsev gegen Zypern und Russland
Der Beschwerdeführer mit Wohnsitz in Russland hatte eine Tochter, die mit einem Touristenvisum nach Zypern eingereist war und dort eine Arbeitserlaubnis als Künstlerin erhielt, um in einem Cabaret zu arbeiten. Die Arbeitserlaubnis war damit an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden. Es war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass dieses Künstlervisum sehr oft als Deckmantel für Prostitution und Menschenhandel genutzt wurde. Sie arbeitete jedoch nur drei Tage lang und hinterließ dann eine Nachricht, dass sie zurück nach Russland gehe. Ihr Arbeitgeber fand sie zehn Tage später wieder und brachte sie zur Polizei, wo er ihren Pass übergab und die Ausweisung verlangte, um den Arbeitsplatz mit einer neuen Migrantin zu besetzen. Die Polizeibeamten sahen keinen Haftgrund und übergaben die verängstigte junge Frau wieder in die Hände des Arbeitgebers. Dieser brachte die Frau sodann in ein Apartment im fünften Stock eines Gebäudes. Kurz darauf wurde sie auf der Straße unterhalb der Wohnung tot aufgefunden.
Der Beschwerdeführer rügte, die zypriotischen Behörden hätten nicht alles Notwendige getan, um seine Tochter vor Menschenhandel zu schützen und die Verantwortlichen für Ihren Tod zu bestrafen (Art. 2, 3, 4, 5 EMRK). Er rügte weiterhin, dass die russischen Behörden keine Untersuchung des Menschenhandels und der Todesumstände seiner Tochter angestrengt und sie nicht vor Menschenhandel geschützt hätten (Art. 2, 4 EMRK).
Der EGMR verurteilte daraufhin Zypern aus Art. 2 EMRK. Die Behörden hätten die Geschehnisse, die zum Tod der Frau führten, zwar nicht vorhersagen können, die deswegen durchgeführte Untersuchung sei jedoch in verschiedenen Punkten fehlerhaft gewesen. Weiterhin stellte der EGMR erstmals fest, dass Menschenhandel selbst durch Art. 4 EMRK verboten ist. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass Zypern seine Verpflichtung aus Art. 4 der Konvention in doppelter Hinsicht verletzt habe. Erstens fehle ein angemessener Rechtsrahmen und eine funktionierende Verwaltungsstruktur zur Bekämpfung des Menschenhandels unter Verwendung sogenannter Künstlervisa. Zweitens stützte sich der EGMR darauf, dass die Polizei keine Maßnahmen ergriffen habe, um die Tochter des Beschwerdeführers vor Menschenhandel zu schützen, obwohl mehrere Indizien diesen Verdacht nahegelegt hatten. Der Gerichtshof stellte ebenfalls eine Verletzung des Art. 4 EMRK durch Russland fest, da die Behörden keine Untersuchungen über den Zeitpunkt und die Art der Rekrutierung des Opfers durchgeführt hätten, und keine Schritte unternommen hätten, die Beteiligten ausfindig zu machen.
Schlussendlich stellte der Gerichtshof eine Verletzung des Art. 5 EMRK fest, da Zypern für das Festhalten der Tochter des Beschwerdeführers für ca. eine Stunde auf der Polizeiwache verantwortlich sei und dies nicht durch innerstaatliches Recht gerechtfertigt war. Ebenso sei das spätere Festhalten in der Wohnung widerrechtlich und willkürlich erfolgt.
Eine vollumfängliche Rechtsprechungsdatenbank ist in Deutschland bislang nicht eingerichtet. Der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK) e.V. stellt jedoch eine fundierte Datenbank zur Verfügung, die neben Fällen von Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft auch Entscheidungen zu Zwangsprostitution und Lohnwucher beinhaltet. Zusätzlich zu den strafrechtlichen Urteilen finden sich auch Entscheidungen aus anderen Bereichen wie Aufenthaltsrecht, Arbeitsrecht (Lohnforderung), Entschädigung oder Schadensersatz in der Datenbank. Die Urteile stehen in anonymisierter Form als PDF zur Verfügung.
Der Begriff des Re-Trafficking bezeichnet das Phänomen, dass eine erhebliche Anzahl von Menschenhandelsopfern nach Aufdeckung der Tat erneut Opfer von Menschenhandel werden. Der Kreislauf, dass Opfer wieder in die Hände der Täter gelangen, kann nur durch effektiven -> Opferschutz durchbrochen werden.
Die Ausbeutung des Opfers muss von rücksichtslosem Gewinnstreben getragen werden. Dies bedeutet, dass der Täter aufgrund übersteigerten Gewinnstrebens keine Rücksicht auf persönliche oder wirtschaftliche Belange des Opfers und sich den hieraus ergebenden Folgen nimmt.[1] Es handelt sich hierbei um eine Eingrenzung des Tatbestands. So soll die Rücksichtslosigkeit etwa bei befristeten Ferienarbeiten oder Beschäftigung von Pflegekräften unter Mindestlohn zur Versorgung von Angehörigen entfallen.[2] Treten aber auch hier weitere Umstände hinzu, siehe -> Indikatorenliste, wie z.B. Drohungen, Misshandlungen, Einbehaltung von Dokumenten, Strafen etc., ist das Tatbestandsmerkmal indiziert.
[1] Valerius in: BeckOK StGB, § 232 StGB, Rn. 29.
[2] Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 232, Rn. 42.
Schuldknechtschaft entsteht, wenn eine Person gezwungen ist, zur Tilgung einer Schuld für wenig oder gar kein Gehalt zu arbeiten. Dabei hat sie in der Regel keine Kontrolle oder Übersicht über ihre Schulden. Schuldknechtschaft ist nach wie vor weit verbreitet in allen Regionen der Welt, obwohl sie nach internationalem Recht und in den meisten innerstaatlichen Gerichtsbarkeiten verboten ist.[1] [2]
[1] UN-Definition: https://ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=20504&LangID=E
[2] Anti slavery: https://www.antislavery.org/slavery-today/bonded-labour/
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ist für die vorliegenden Straftatbestände insofern relevant, als es in § 10 und § 10a Arbeitgeber*innen unter Strafe stellt, die ausländische Beschäftigte und Opfer von Menschenhandel zu ungünstigen Arbeitsbedingungen beschäftigen. Zusätzlich trat am 18.07.2019 das neue Gesetz zur Bekämpfung von Missständen am Arbeitsmarkt, illegaler Beschäftigung sowie von Kindergeld- und Sozialleistungsmissbrauch in Kraft. Dadurch erweitern sich die -> Prüfgegenstände der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) um die Straftatbestände § 232 StGB, § 232b StGB und § 233 StGB.
Schwerpunktstaatsanwaltschaften/spezialisierte Staatsanwält*innen
Schwerpunktstaatsanwaltschaften zu den Straftatbeständen Menschenhandel im Kontext von Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft gibt es in Deutschland bislang nicht, obwohl die Forderungen danach immer lauter werden. Andere EU-Länder wie Belgien haben mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften dieser Art ein Zeichen gesetzt und berichten von positiven Erfahrungen. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Berlin, die sich mit Menschenhandel und Zwangsprostitution befasst. Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft werden dabei bislang ausgeklammert. Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart besteht hingegen eine Abteilung mit spezialisierten Staatsanwält*innen, die u.a. für Fälle des Lohnwuchers § 291 StGB als auch für Fälle der Ausbeutung der Arbeitskraft durch eine Beschäftigung nach § 232 Abs. 1 S. 2 StGB zuständig ist.
Sklaverei bezeichnet den Zustand, in dem Menschen als Eigentum anderer behandelt werden. Nach der von den Vereinten Nationen verwendeten Definition bedeutet Sklaverei „die Rechtsstellung oder Lage einer Person, an der einzelne oder alle der mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse ausgeübt werden,“ und Sklave „eine Person in einer solchen Rechtsstellung oder Lage.“
Die Leibeigenschaft bezeichnet die persönliche Verfügungsbefugnis eines Leibherrn über einen Leibeigenen. Die Leibeigenschaft ist damit eine Form der Eigenbehörigkeit, bei der die Betroffenen — in Europa insbesondere Bauern — zwar nicht wie bei der Sklaverei im Eigentum ihres Gutsherren standen, ihm gleichwohl aber in weitgehendem Umfang zu Frondiensten, Abgaben und Hörigkeit verpflichtet waren.
Artikel 4 Absatz 1 der Menschenrechtskonvention vom 04.11.1950 verbietet jegliche Form von Sklaverei und Zwangsarbeit.
Eine Strafanzeige gegen Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft kann jede Privatperson bei der Polizei, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und der Staatsanwaltschaft stellen. Menschenhandelsdelikte werden traditionell als Kontrolldelikte eingeordnet. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt auf Basis untersuchter Ermittlungsakten in vier Bundesländern zu der Erkenntnis, dass sich Betroffene selbst wie auch Zeug*innen häufig mit einer Strafanzeige an die Behörden wenden, so nachzulesen in Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung – Eine Auswertung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten und gerichtlicher Entscheidungen, Berlin 2015, S. 18. Daraus resultiert die Notwendigkeit eine niedrigschwellige Anzeigemöglichkeit einzurichten. Damit geht wiederum einher, dass Beamt*innen -> Fortbildungen zu den genannten Deliktfeldern erhalten.
Täter*innen/Tatverdächtigenprofil
Bislang gibt es in Deutschland keine umfassenden Daten zu Profilen von Täter*innen- bzw. Tatverdächtigen im Kontext der hier behandelnden Straftatbestände. Das jährliche Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes gibt generelle Informationen zu den Tatverdächtigen. Diese sind jedoch nicht vollständig, da die Ermittlungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit bislang nicht einbezogen werden. Des Weiteren geben sie lediglich Aufschluss über Geschlecht und Herkunft der Tatverdächtigen. Im Rahmen der Studie „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung – Eine Auswertung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten und gerichtlicher Entscheidungen“ des Bündnisses gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung und der Friedrich-Ebert-Stiftung, werden die Tatverdächtigenprofile eingehender betrachtet: Neben einer detaillierten Aufschlüsselung der Herkunft und des Geschlechts, nehmen die Autoren auch Bezug auf auftretende Herausforderungen für Ermittlungsbehörden bei der Identifikation der Tatverdächtigen als auch angewandte Exit-Strategien der selbigen, so nachzulesen in Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung – Eine Auswertung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten und gerichtlicher Entscheidungen, Berlin 2015, S. 16-17, S. 51-52, S. 61-62, S. 71. Die seit Jahren von Expert*innen geforderte unabhängige Berichterstatterstelle zu Menschenhandel könnte die Datenlücken schließen und einen positiven Beitrag zur Ermittlungsarbeit leisten. Bis dahin ist vor allem auf die Vernetzung zwischen den Strafverfolgern zu setzen (-> Fortbildungen).
Das deutsche Strafrecht kennt mangels eines dezidierten Unternehmensstrafrechts die unmittelbar strafrechtliche Verfolgung von juristischen Personen im Kontext von Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft bislang nicht. Nach der hier vertretenen Rechtsansicht werden damit die Anforderungen in Bezug auf die Strafbarkeit juristischer Personen in Artikel 5 und 6 der -> Richtlinie 2011/36/EU nicht erfüllt. Denn die Richtlinie fordert, dass gegen verantwortliche juristische Person wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gehören. Gleichwohl bestehen Sanktionsmöglichkeiten gegen juristische Personen im Bereich der -> Ordnungswidrigkeiten. Die verstärkte Nutzung der Sanktionsmöglichkeiten des Ordnungswidrigkeitenrechts ist im Lichte der -> Richtlinie 2011/36/EU rechtlich geboten.
Die Anzahl der Urteile der hier behandelnden Straftatbestände inklusive der alten Straftatbestände ist verhältnismäßig gering. Ebenso ist es schwierig, eine verlässliche Zahl der bislang erlangten Urteile im Bundesgebiet zu nennen, da es keine zentrale Stelle gibt, die diese Daten erfasst. Eine Studie aus dem Jahr 2015 benennt für den Zeitraum 2005 bis 2012 insgesamt 14 Entscheidungen deutscher Strafgerichte. Weiterhin legen sowohl die Aktenanalyse als auch die Auswertung der erwähnten Entscheidungen nahe, dass eine große Rechtsunsicherheit bezüglich der genannten Straftatbestände vorliegt. Damit werden die staatlichen Schutzpflichten des Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention bislang nicht vollumfänglich erfüllt, nachzulesen in Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung – Eine Auswertung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten und gerichtlicher Entscheidungen, Berlin 2015. S. 25ff. Bislang ergangene Urteile können in anonymisierter Form in der -> Rechtssprechungsdatenbank des KOK heruntergeladen werden.
Beim Veranlassen iSd § 232b StGB handelt es sich um die Tathandlung, durch die das Opfer in eines der tatbestandsmäßigen Ausbeutungsverhältnisse gebracht oder darin festgehalten werden soll. Hierzu genügt eine zumindest mitursächliche kommunikative Einwirkung auf das Opfer. Es reicht nicht aus, wenn die Initiative vom Opfer ausgeht, es sich also beispielsweise an jemanden wendet um als billige Arbeitskraft vermittelt zu werden. Erforderlich ist es, dass der/die Täter*in nicht lediglich eine äußere Situation herbeiführt, in der sich das Opfer in das Ausbeutungsverhältnis begibt. Vielmehr ist eine Beeinflussung des Opfers nötig, indem der/die Täter*in die Beschäftigung als Ausweg aus der Zwangslage anbietet. Zur Annahme eines strafwürdigen Unrechts ist es ebenso erforderlich, dass die Einwirkung auf das Opfer mit Nachdruck geschieht, beispielsweise mittels Täuschung oder Ausnutzung einer Machtstellung (z.B. durch Angehörige). Es ist jedoch zu beachten, dass je jünger und beeinflussbarer das Opfer ist, umso weniger Druck erforderlich ist.[1]
[1] Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 232b, Rn. 19 f.
Die effiziente Vermögensabschöpfung ist neben dem -> Opferschutz die zweite tragende Säule eines erfolgreichen Vorgehens gegen Menschenhandel. Durch die hohe -> Lukrativität von Menschenhandel erzielen die Täter häufig erhebliche Vermögensvorteile. Bislang ist in der Rechtspraxis festzustellen, dass die bestehenden Instrumente zur Vermögensabschöpfung in Menschenhandelsfällen zu selten zur Anwendung gelangen. Insbesondere die rechtlichen Möglichkeiten des am 1. Juli 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung sollten zukünftig verstärkt angewendet werden, um nachhaltige Erfolge gegen die Täter*innen zu erzielen.
Vorschub leisten iSd § 233 Abs. 5 StGB
Vorschub leisten iSd § 233 Abs. 5 StGB stellt das Schaffen von günstigen Bedingungen, die die Tat erleichtern, dar. Die Möglichkeit des tatbestandlichen Erfolgs muss zumindest in greifbare Nähe gerückt sein, zur angedachten Ausbeutung muss es jedoch nicht kommen. Es ist insbesondere erforderlich, dass die ausbeuterische Beschäftigung, der Vorschub geleistet werden soll, bereits hinreichend konkretisiert ist, es müssen also Zeit, Ort und Beteiligte feststehen. Untaugliche Tathandlungen sind hier ausgenommen, da es hierbei an jeglicher Förderung fehlt.[1]
[1] Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, § 233, Rn. 30 sowie Valerius in: BeckOK StGB, § 233 StGB, Rn. 18.
Nach dem Weltrechtsprinzip ist das nationale Strafrecht auch auf Sachverhalte anwendbar, die keinen spezifischen Bezug zum Inland haben, bei denen also weder der Tatort im Inland liegt noch der/die Täter*in oder das Opfer die Staatsangehörigkeit des betroffenen Staates besitzen.
6 StGB normiert die dem Weltrechtsprinzip unterfallenden Straftatbestände. Alle Menschenhandelsdelikte nach § 232 StGB sind danach von deutschen Behörden nach deutschem Straf- und Strafprozessrecht ohne weiteren Inlandsbezug zu verfolgen.
Werkverträge beschreiben eine vertragliche Vereinbarung zwischen einem Unternehmen und einer Person, die ein Werk herstellt. Im Gegensatz zu einem Angestelltenverhältnis ist der/die Werkhersteller*in dazu verpflichtet das Werk eigenhändig herzustellen und haftet dafür. Er/sie handelt dabei rechtlich und unternehmerisch selbstständig. Aus Täter*innensicht lassen sich über Werkverträge Ausbeutungssituationen oftmals gut herstellen und kaschieren[1], z.B. durch unrealistische Leistungsvorgaben oder absichtlich erzeugte Haftungssituationen. Rechtlich sind die Werkvertragsnehmer*innen in derartigen Fällen Scheinselbstständige, denn sie werden wie Auftragnehmer*innen vollständig in den Betrieb einbezogen und können weder über ihre Arbeitszeit noch die Gestaltung ihrer Tätigkeit frei verfügen. Im Rahmen von Ermittlungsmaßnahmen ist es daher bedeutsam, die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse zu dokumentieren, um rechtliche Outsourcing-Konstrukte zur Scheinlegitimierung von Ausbeutungsverhältnissen aufzudecken.
[1] Diese Konstellation taucht immer wieder in der Fleischindustrie auf, siehe beispielsweise SZ vom 23.06.2013, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/skandaloese-verhaeltnisse-in-der-fleischindustrie-lohnsklaven-in-deutschland-1.1703776-2.
Neben den zuständigen Polizeidienststellen ist auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit für die Ermittlung der dargelegten Deliktfelder zuständig -> Prüfgegenstände in Zuständigkeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS).
Wir beziehen uns mit dem Begriff „Zwangsarbeit“ auf eine extreme Form der Arbeitsausbeutung, die strafrechtlich geahndet wird. (Bis 2016 wurde dieser Bereich unter den „Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“ gefasst.)
Im Zuge einer Novellierung des Strafrechts zum Thema Menschenhandel wurde 2016 der Begriff „Zwangsarbeit“ eingeführt (§ 232b StGB). Dies geschah im Rahmen einer Gesetzesänderung, die damit Bestandteile der EU-Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer in deutsches Recht umsetzt.
Ein wichtiges Element von Zwangsarbeit nach deutschem Recht ist es, dass eine Person veranlasst wird, eine ausbeuterische Beschäftigung aufzunehmen oder fortzusetzen, sich in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft zu begeben, oder eine ausbeuterische Betteltätigkeit auszuführen.
Das heißt, neben der tatsächlichen Ausbeutung ist ausschlaggebend, dass der Wille einer Person beeinflusst wird. Dies wird im Gesetzestext durch den Begriff des „Veranlassens“ beschrieben.
Die Glossar-Einträge beruhen vorwiegend auf der Publikation “Menschenhandel – Arbeitsausbeutung – Zwangsarbeit. Alphabetisches Glossar für die Praxis der Strafverfolgung ” von Dr. Christoph Lindner und Luiza Lupascu verfasst, herausgegeben von der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel.