Dokumentation zum Fachtag: Mit Menschenrechten gegen Arbeitsausbeutung – Herausforderungen und Möglichkeiten

Die Dokumentation zum Fachtag „Mit Menschenrechten gegen Arbeitsausbeutung – Herausforderungen und Möglichkeiten“ ist ab sofort verfügbar. Die Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel freut sich durch die Publikation zentrale Ergebnisse des Fachtags auch Interessierten, die nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnten, zugänglich machen zu können.  Ein besonderer Dank richtet sich an die Referent*innen, die trotz erschwerter Bedingungen des digitalen Formats die Veranstaltung mit ihren Redebeiträgen zu einem Erfolg machten. Die Dokumentation beinhaltet Beiträge von Dr. Bärbel Uhl (Deutsches Institut für Menschenrechte / DIMR), Prof. Dr. Karin Lenhart-Roth (Hochschule Hannover), Sophia Wirsching (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. / KOK), Dr. Katarzyna Zentner (Arbeit und Leben Niedersachsen) sowie von Dr. Miriam Saage-Maaß (European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Der Fachtag, eine Kooperationsveranstaltung der Fakultät V – Abteilung Soziales der Hochschule Hannover und der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel, fand am 18. November 2021 online statt. Unter den 100 Fachtagsteilnehmenden waren u. a. Expert*innen aus Wissenschaft, Behörden und Landesministerien, Berater*innen, Gewerkschaftsvertreter*innen und Studierende, aus dem gesamten Bundesgebiet vertreten.

Ziel der Fachtagung war es, eine Plattform für den Austausch über Handlungsansätze und Problemlagen möglichst aller im Feld relevanten Akteur*innen aus Fachberatungsstellen, Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden, Wissenschaft, Verwaltung und möglichst auch Politik zu schaffen und die Netzwerkbildung nachhaltig zu unterstützen. Die Tagung richtete sich auch an Studierende der Sozialen Arbeit der Hochschule Hannover. Ihnen sollte das Berufsfeld der Fachberatungsstellen so nähergebracht werden. Als angehende Sozialarbeiter*innen können die Studierenden in relevanten Feldern (niedrigschwellige Wohnungslosenhilfe, Jobcenter, Ausländerbehörden, Gesundheitsämtern etc.) für die Thematik sensibilisiert werden und einen Beitrag zur Identifizierung Betroffener leisten.

Eine PDF-Version der Publikation kann hier heruntergeladen werden.

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Fachtag: Mit Menschenrechten gegen Arbeitsausbeutung – Herausforderungen und Möglichkeiten

Am 18. November 2021 veranstaltet die Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel in Zusammenarbeit mit der Hochschule Hannover, Fakultät V Abteilung Soziale Arbeit einen digitalen Fachtag mit dem Titel: “Mit Menschenrechten gegen Arbeitsausbeutung – Herausforderungen und Möglichkeiten”.

Zum Hintergrund:

Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel finden in Deutschland tagtäglich weitgehend unbemerkt von der Gesellschaft statt. Für ausbeuterische Arbeitgeber*innen ist das Risiko gering dabei entdeckt und bestraft zu werden. Den Preis zahlen die ausgebeuteten Beschäftigten.

Die Betroffenen sind jedoch nicht nur Opfer einer Straftat, sondern auch Inhaber*innen besonderer Rechte. Deutschland hat sich auf verschiedenen Ebenen (UN, ILO, EU und Europarat) menschenrechtlich dazu verpflichtet, Menschenhandel, Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit strafrechtlich zu ahnden und Betroffene zu identifizieren sowie ihnen besonderen Schutz zukommen zu lassen.

Dieser Schutz gilt allen Betroffenen von Menschenhandel – unabhängig von einer Aussagebereitschaft als Zeug*innen vor Gericht. Dazu gehören neben der adäquaten Unterbringung, der Sicherung des Aufenthaltsstatus’ und des Existenzminimums auch die Gewährung der sogenannten Stabilisierungs- und Bedenkfrist. Migrant*innen sind in besonderer Weise von Arbeitsausbeutung betroffen und besonders vulnerabel. Die Umsetzung ihrer Aufenthalts- und Sozialrechte gestaltet sich in der Praxis oft als sehr schwierig.

Die EU-Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist in Deutschland nicht vollständig umgesetzt. Die Straftatbestände Menschenhandel, Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung (§§ 232 ff.) führen seit ihrer Neuformulierung im Jahr 2016 im deutschen Strafrecht ein Schattendasein. Auch die „Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings – GRETA“ des Europarates, die für das Monitoring der Europaratskonvention aus dem Jahr 2005 zuständig ist, mahnt dringend verstärkte Anstrengungen Deutschlands an. Es fehlt u. a. die Einrichtung einer nationalen, unabhängigen Berichterstatterstelle, die belastbare Zahlen generieren könnte. Finanzielle Mittel für Beratungsstellen fallen oft knapp aus und sind in der Regel an kurzfristige und oft ungesicherte Projekte gebunden.

Neben den Strafverfolgungsbehörden und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Zollbehörden sind die sozialen Hilfesysteme besonders in der Verantwortung. Die Beratungsstellen nehmen eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung, Beratung, Betreuung und Begleitung von Betroffenen von Arbeitsausbeutung ein.

Das vollständige Programm und die Zugangsdaten finden Sie im PDF.

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Neue Flyer: Anzeichen für Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit in der Paket- und Fleischbranche erkennen

Servicestelle veröffentlicht Flyer zum Internationalen Tag gegen Menschenhandel

Bestimmte Branchen der Privatwirtschaft sind besonders anfällig für Zwangsarbeit. Die Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung hat im vergangenen Jahr die erste Branchenanalyse zum Erkennen von Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel bei Paketdiensten und Schlachtbetrieben veröffentlicht. Anlässlich des Welttags gegen Menschenhandel erscheinen zwei handliche Flyer, die dabei helfen, Anzeichen von Ausbeutung und Zwang in diesen beiden Arbeitsbereichen zu erkennen. Die Flyer erleichtern allen, Betroffene zu erkennen und  zu handeln.

Die Bundesregierung hat durch das Paketbotenschutzgesetz im Jahr 2019 und durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz im Jahr 2020 neue Regelungen zum Schutz von Beschäftigten in den beiden Branchen geschaffen. Weitere Aktivitäten zum Schutz von Menschen vor ausbeuterischen Bedingungen unter Einbindung aller relevanten Akteur*innen wie z.B. Ermittlungsbehörden, aber auch Beratungsstellen, Jobcenter oder Gewerkschaften müssen folgen. Die effektive Bekämpfung arbeits- und strafrechtlicher Verstöße, Identifizierung von Opfern, Zugang zu Informationen in verständlicher Sprache, spezialisierte Beratungsangebote und Unterstützung psychosoziale Begleitung und langfristige Perspektiven. Es gilt die besonderen Opferrechte von Betroffenen von Menschenhandel umzusetzen, d.h. insbesondere Sicherung des Aufenthalts und Sicherung des Lebensunterhalts umzusetzen.

Die Flyer zur Paket- und Fleischbranche zum Anklicken und Herunterladen:

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Die neuen Flyer können auch als Printversion unter der E-Mail info@servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de bestellt werden.

Neues Rechtsgutachten zur Bedenk- und Stabilisierungsfrist

Die Rechte, die Betroffenen der Straftatbestände Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft zustehen, sind in Deutschland noch zu wenig bekannt. Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist ist da keine Ausnahme. Da sie bereits bei ersten Anhaltspunkten auf die Straftatbestände den betroffenen Personen gewährt werden soll, ist sie das „Eingangstor“ für weitere Opferrechte. Sie dient dazu, dass sich diese Personen aus der Zwangs- und Ausbeutungssituation lösen können, sich physisch und psychisch stabilisieren und sich ihrer Handlungsmöglichkeiten bewusstwerden können.  

In der Praxis bleibt dieses Tor trotz konkreter Anhaltspunkte sehr häufig verschlossen und weitere Opferrechte (wie beispielsweise die adäquate Unterbringung, Versorgung und Beratung) können nicht umgesetzt werden. Dies widerspricht den (internationalen) rechtlichen Verpflichtungen, denen Deutschland unterliegt. 

Prof. Dr. Alexander Graser (Universität Regensburg) und RA Dr. Christoph Lindner haben im Auftrag der Servicestelle ein Rechtsgutachten erstellt, das für mehr Klarheit und Einheitlichkeit in der Praxis sorgen soll. Zu diesem Zweck umfasst das Gutachten sowohl die Analyse der Vorgaben aus internationalem Recht als auch die Diskussion der national geltenden Rechtslage und Verwaltungspraxis. Außerdem gibt es Hinweise und Empfehlungen für eine korrekte Umsetzung der rechtlichen Verpflichtungen.

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Update: Wie finde ich die richtigen Ansprechpersonen in meinem Bundesland?

Unsere Bundesland-Übersicht umfasst bereits die Hälfte aller Bundesländer und es gibt neue Entwicklungen bei Beratungs- und Ermittlungsstrukturen

Vor einem Jahr hat die Servicestelle die ersten Informationen zu Ansprechpersonen für Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung in den Bundesländern veröffentlicht. Nun ist die Hälfte aller Bundesländer in der Übersicht erfasst. Neu hinzugekommen ist jüngst Rheinland-Pfalz.

Und auch bei den Fachberatungsstellen für Opfer von Zwangsarbeit gibt es Neuigkeiten: In Nordrhein-Westfalen wird die Servicestelle im Frühjahr 2021 das Beratungsnetzwerk “Arbeit” schulen, welches seit diesem Jahr den Beratungsschwerpunkt Arbeitsausbeutung abdecken wird. Somit werden in NRW neue Ansprechpersonen für den Deliktsbereich in 53 Gebietskörperschaften mit teilweise mehreren Standorten hinzukommen. Diese werden dort mit den arbeitsrechtlichen Beratungsstellen von ARBEIT UND LEBEN, der Fairen Mobilität und des IQ Netzwerks Faire Integration zusammenarbeiten, die bei der Durchsetzung der arbeitsrechtlichen Ansprüche unterstützen.

Des Weiteren werden in diesem Jahr die neuen Zuständigen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls zu Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel geschult. Seit der Novelle des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch im Jahr 2019 hat die FKS ebenfalls den Prüfauftrag für ausbeuterische Beschäftigung erhalten. Es ist vorgesehen zwei sogenannte Koordinator*innen für den Opferschutz pro Hauptzollamt zu benennen.

Die Bundesland-Übersicht ist besonders für Berater*innen oder Ermittler*innen hilfreich, die einen Anfangsverdacht auf Menschenhandel feststellen und nach den zuständigen Stellen in ihrem Bundesland suchen möchten. Der Vergleich zwischen verschiedenen Strukturen in den Bundesländern wird so möglich und kann eine engere Koordination und Vernetzung innerhalb und über die Ländergrenzen hinweg befördern.

Neuer Flyer: Faire Anwerbung – Der erste Schritt zur Vermeidung von Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit

Zwangsarbeit und Ausbeutung beginnen oftmals damit, dass Arbeitsmigrant*innen über Arbeitsbedingungen und Entlohnung getäuscht werden. Oft verschulden sich Menschen durch hohe Gebühren für Vermittlung oder Reisekosten.

Die Servicestelle gegen Zwangsarbeit beschäftigt sich seit 2020 gemeinsam mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB), der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), der Plattform für Undokumentierte Migrant:innen (PICUM) und weiteren Partnerorganisationen mit dem Thema Anwerbung beschäftigt, z. B. mit einer weltweiten Bewertungsplattform für Anwerbe Agenturen, dem Migrant Recruitment Advisor. 

Die Internationale Arbeitsorganisation hat in mehreren Konventionen Regeln für die Anwerbung formuliert. Diese Prinzipien der fairen Anwerbung spielen bisher in Deutschland und der Europäischen Union jedoch kaum eine Rolle. Der neue Flyer „Faire Anwerbung“ von ARBEIT UND LEBEN Berlin-Brandenburg DGB/VHS zeigt auf, warum Anwerbestrukturen oftmals ein Einfallstor für Ausbeutung sind und stellt die Prinzipien fairer Anwerbung vor.  

Der Print-Flyer kann unter info@servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de bestellt werden.

Die Webversion kann hier angesehen und heruntergeladen werden.

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Schutz von Arbeiter*innen vor Menschenhandel und Zwangsarbeit im Lieferketten-Gesetz verankern

Anlässlich des heutigen Internationalen Tags gegen Menschenhandel begrüßt die Servicestelle gegen Zwangsarbeit die aktuelle Initiative der Bundesminister Heil und Müller, noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferketten-Gesetz zu verabschieden. Das Gesetz sollte den verbindlichen Schutz von Arbeiter*innen aller Branchen vor Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel in der Lieferkette beinhalten. Die Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte in nationalen wie internationalen Lieferketten sollte klar benannt werden.

Die durch die Pandemie sichtbar gewordenen Fälle von Arbeitsausbeutung haben gezeigt: Das von Arbeitsminister Heil geplante Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie sollte auf weitere Branchen ausgedehnt werden. Eine Verschärfung des Arbeitszeitgesetzes und die Schaffung würdiger Wohnbedingungen sind dringend notwendig. Der Zugang zu Recht insbesondere migrantischer Arbeitnehmer*innen muss deutlich gestärkt werden.

Seit 2016 gibt es in Deutschland die Straftatbestände „Menschenhandel“ (§232 StGB), „Zwangsarbeit“ (§232b StGB) und „Ausbeutung der Arbeitskraft“ (§233 StGB). In Europa gibt es geschätzt 880.000 Betroffene von Zwangsarbeit, dabei handelt es sich bei 70 Prozent um Zwangsarbeit, die in der Landwirtschaft, dem Bau, der Fleischindustrie, der Gastronomie, der Pflege und weiteren Bereichen stattfindet (ILO, 2012). Dem gegenüber stehen lediglich 21 strafrechtliche Ermittlungsverfahren in Deutschland im Jahr 2018. Ein Lieferketten-Gesetz sollte zur Prävention, der Stärkung von Rechten von Betroffenen von Menschenhandel und Zwangsarbeit und der konsequenteren Strafverfolgung von Täter*innen beitragen.

Die vollständige Presseerklärung als PDF anschauen oder herunterladen:

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Filmveranstaltung zu Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung präsentiert gemeinsam mit dem Hofkino am 26. August 2020 um 20:30 Uhr den Dokumentarfilm „REGELN AM BAND, BEI HOHER GESCHWINDIGKEIT“, der 2020 den Max Ophüls Preis „Bester Dokumentarfilm“ gewonnen hat.

Mittwoch, 26. August 2020, 20:30 Uhr

Innenhof des FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin

Vor dem Film findet um 19:30 Uhr eine Gesprächsrunde statt. Mit dabei sind:

  • Yulia Lokshina, Regisseurin des Films “REGELN AM BAND, BEI HOHER GESCHWINDIGKEIT”
  • Kordula Heineck, Autorin der Studie zur Arbeitsausbeutung in der Fleischindustrie der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel
  • Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung der Fraktion DIE LINKE im Bundestag

Die Diskussion wird moderiert von Kim Weidenberg, Projektleiterin der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel.

Zum Film:

In der westdeutschen Provinz kämpfen osteuropäische LeiharbeiterInnen des größten Schweineschlachtbetriebs des Landes ums Überleben – und AktivistInnen, die sich für deren Rechte einsetzen, mit den Behörden. Zur gleichen Zeit proben Münchener GymnasiastInnen das Stück „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ und reflektieren über die deutschen Wirtschaftsstrukturen und ihr Verhältnis dazu. Verwoben mit den Gedankengängen der Jugendlichen und ihrer Auseinandersetzung mit dem Text in den Proben erzählt der Film in unterschiedlichen Fragmenten über Bedingungen und Facetten von Leiharbeit und Arbeitsmigration in Deutschland. (Quelle: jip-film.de)

Weitere Informationen und die Möglichkeit zu reservieren, finden Sie hier.

Die Veranstaltung wird finanziert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Strukturen in Fleischindustrie und Paketbranche fördern Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit

Neue Publikation der Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel analysiert Anzeichen auf Ausbeutung und Zwang und gibt Handlungsempfehlungen zu Prävention, Bekämpfung und Opferschutz

Die vorliegende Publikation „Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung verhindern – Branchenspezifische Analyse/Anzeichen erkennen und handeln“ untersucht, welche Anzeichen für die Straftaten „Zwangsarbeit“ (232b StGB) und „Ausbeutung der Arbeitskraft“ (233 StGB) in der Fleischindustrie und in der Paketbranche regelmäßig auftreten. Im Gegensatz zur Sklaverei benötigt die Zwangsarbeit von heute keine Ketten. Es genügt ein subtiles System von Täuschung bei der Anwerbung, Ausnutzen wirtschaftlicher Notlagen, Druck durch ausbleibende Lohnzahlungen oder Drohungen, aber auch Gewalt, Überwachung und Einsperren.

Hohe Infektionszahlen in deutschen Schlachtbetrieben haben die Aufmerksamkeit auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen der zumeist osteuropäischen Arbeitnehmer*innen gelenkt. Auch in einigen Paket- oder Logistikzentren gab es eine erhöhte Zahl von Infektionen.

Die Erkenntnis ist nicht neu: Arbeitsbedingungen in Schlachtfabriken wurden regelmäßig öffentlich kritisiert und als “moderne Sklaverei” bezeichnet. Es handelt sich um Verstöße gegen fundamentale Rechte wie das Recht auf Freiheit und das Recht auf Gesundheit. In Deutschland gibt es seit 2016 dafür die Straftatbestände „Zwangsarbeit“ (232b StGB) und „Ausbeutung der Arbeitskraft“ (233 StGB).

Um Zwangsarbeit und Ausbeutung zu erkennen, ist ein hohes Maß an Sensibilität und Aufmerksamkeit erforderlich, sowohl bei Kontrollbehörden als auch bei unterstützenden Beratungsstellen. Die Publikation liefert eine praktisch fundierte Anleitung, um Zeichen von Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit zu erkennen, Betroffene besser zu schützen und die Täter*innen zur Rechenschaft ziehen zu können.

Die Beschäftigung in Subunternehmerketten im Rahmen von Werkverträgen ist eine wesentliche strukturelle Ursache für Mechanismen von Zwang und Ausbeutung. Werkverträge sind sowohl in der Fleischindustrie als auch in der Paketbranche ein zentrales Beschäftigungsmodell.

So wird die Verantwortung für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten abgegeben und verschleiert. Es ist zu begrüßen, dass die Politik nun den Missbrauch von Werkverträgen eindämmen will. Eine Verschärfung des Arbeitszeitgesetzes und die Garantie einer angemessenen Wohnsituation sind lange überfällig und für die Einhaltung der Arbeitsrechte unerlässlich. Auch Kontrollbehörden, Arbeitgeber*innen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft müssen einen Beitrag dafür leisten, dass Zwangsarbeit verhindert oder wirksam bekämpft wird. Die Publikation gibt dafür konkrete Anhaltspunkte.

 

Servicestelle: Branchenspezifische Analyse – Paketdienste und Schlachtbetriebe (2020)

Hygienemaßnahmen dürfen nicht zu Zwang und Ausbeutung migrantischer Saisonarbeiter*innen führen

Von der aktuellen Pandemie sind migrantische Arbeiter*innen besonders betroffen, sei es auf dem Spargelfeld, in den Schlachtbetrieben, in der Pflege oder im Reinigungsgewerbe.
Sie sind der Gefahr von Ausbeutung und Zwang ausgesetzt. Ihre Abhängigkeit und Isolation machen sich einige Arbeitgeber*innen in krimineller Weise zunutze.

Die Wirtschaft in Deutschland ist auf migrantische Arbeiter*innen angewiesen. Aktuell wird deutlich, wie sehr gerade saisonal arbeitende Wirtschaftszweige auf sie angewiesen sind, beispielsweise bei der Ernte von Spargel oder Erdbeeren. Die vom Bundesinnen- und Bundeslandwirtschaftsministerium kurzfristig erlassenen Vorschriften zum Infektionsschutz gegen COVID-19 führen dazu, dass Grund- und Arbeitsrechte der Beschäftigten derzeit in Gefahr sind 

Isolierung und Abhängigkeit führt zu Zwang und Ausbeutung 

Von den Erntearbeiter*innen in Deutschland kommen 95 Prozent aus dem Ausland. Die Bundesregierung hat sich mit den Bauernverbänden auf Ausnahmeregelungen zur begrenzten Einreise von jeweils bis zu 40.000 im April und Mai für Saisonarbeiter*innen verständigt. Die Vereinbarung hierfür lässt befürchten, dass deren Abhängigkeit von den Arbeitgeber*innen noch wesentlich höher ist als in den Jahren zuvor. Diese Abhängigkeit ermöglicht Zwang und Ausbeutung. So dürfen die Erntehelfer*innen in der Zeit der 14-tägigen Quarantäne das Betriebsgelände weder verlassen noch Besuche empfangen. Sie sind von ihrem*ihrer Arbeitgeber*in abhängig bei Unterkunft, Verpflegung, Hygiene sowie der Ein- und Ausreise. 

Die Beschäftigten werden nur rudimentär über die Situation informiert, in die sie sich begeben. Information über Arbeitsstandards und Arbeitsrechte, sowie über Beratungsangebote bekommen sie bisher nicht 

Ein Wechsel des Betriebes bei Konflikten und die Modalitäten der Rückreise (individuell oder gemeinsam, Reisemittel) sind nicht geklärt. Ebenso undeutlich ist, wer die (vergleichsweise hohen) Kosten für Reise und Unterkunft trägt. Erste Konfliktfälle deuten darauf hin, dass Arbeitgeber*innen entgegen der Ankündigungen bei der Anwerbung die Flugkosten wie auch die Unterkunftskosten und hygienebedingte Arbeitsmittel in Rechnung stellen. Dies ist ein erhebliches Kostenrisiko für die Erntehelfer*innen, es besteht das Risiko einer “Schuldenfalle”, die dann von der/dem Arbeitgeber*in ausgenutzt werden kann, um ungünstige Arbeitsbedingungen durchzusetzen. In einem Fall wurden sogar die Pässe der Erntehelfer*innen eingezogen, um sie am Verlassen des Hofes zu hindern. Dies ist ein zentrales Indiz für Zwangsarbeit nach §232 b StGB. 

Nach den Erfahrungen von Beratungsstellen in den vergangenen Jahren bekommen Saisonarbeiter*innen ihren Lohn oft erst am Ende der Erntezeit ausgezahlt. Wenn sie kündigen wollen – z.B. aufgrund von schlechten Arbeits- oder Unterkunftsbedingungen oder mangelnder hygienischer Vorsorge – stehen sie oft buchstäblich vor dem Nichts. Sie verlieren die Unterkunft und bekommen in der Regel auch kein Geld ausbezahlt. Das Besuchsverbot bedeutet ein hohes Maß an Isolation der Arbeitnehmer*innen. Die Abreise kann zudem teilweise nur in Abstimmung mit den Landwirt*innen und Arbeitgeber*innen organisiert werden, was eine weitere Einschränkung der persönlichen Entscheidungsfreiheit darstellt.  

Anzeichen für Zwang und Ausbeutung von migrantischen Arbeiter*innen nehmen durch die aktuelle Situation der Pandemie also deutlich zu. Zugleich sind Arbeiter*innen in der Isolation der Quarantäne für Beratungsstellen, Gewerkschaften und andere Hilfsangebote schwer erreichbar, vor allem, wenn die Menschen die Betriebstätten nicht verlassen können.  

Wahrung von Arbeits- und Menschenrechten in der Pandemie 

Auch in der weltweiten Pandemie müssen Arbeitsrechte und Menschenrechte gewahrt und durchsetzbar bleiben. Migrantische Arbeiter*innen, die sich auch ohne eine weltweite Krise gegen Ausbeutung allein schwer wehren können, brauchen solidarische und staatliche Unterstützung und Möglichkeiten, Missstände anzeigen zu können, die Arbeitsstätte zu wechseln und sich frei bewegen zu können.

Anforderungen für einen Schutz vor Zwang und Ausbeutung auch in Zeiten der Pandemie: 

  • Ausführliche und transparente Informationen über Verpflegung, Unterbringung und eingeschränkte Bewegungsfreiheit bedingt durch die Infektionsschutzmaßnahmen vor dem Abschluss des Arbeitsvertrages und Abreise aus dem Herkunftsland. 
  • Klare und transparente Information zu Kosten für Reise, Unterkunft und Verpflegung vor der Abreise und wer diese zu tragen hat.
  • Sicherstellung der Übernahme der Kosten durch den*die Arbeitgeber*in für Verpflegung und Unterkunft für die Zeit der Quarantäne. 
  • Zulassung von Gewerkschaften und Beratungsstellen zu Informationszwecken und Unterstützung auf dem Betriebsgelände.  
  • Information über Möglichkeiten muttersprachlicher Beratung und Information zu Arbeitsrechten und Gesundheitsmaßnahmen für alle Arbeiter*innen. 
  • Gezielte und regelmäßige Überprüfungen der Arbeitsbedingungen und Unterkünfte seitens des Zolls, bzw. der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, und der Gesundheits– und Arbeitsschutzbehörden. 
  • Bezahlte Rückkehrgarantie ins Heimatland durch den*die Arbeitgeber*in auch bei vorzeitiger arbeitnehmerseitiger Vertragskündigung.  
  • Lohnfortzahlung, eine menschenwürdige Unterkunft und Garantie der Kostenübernahme von Krankheits- oder etwaiger Überstellungskosten durch den*die Arbeitgeber*in, sofern keine Krankenversicherung greift.

Indikatoren für Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit oder Menschenhandel bei Erntehelfer*innen:

Täuschung bei der Anwerbung durch 

– fehlende oder falsche Informationen zu Reisekosten 

– fehlende oder falsche Informationen zu den Quarantänebestimmungen 

– fehlende oder falsche Informationen zu den Kosten der Versorgung in der Quarantäne-Zeit 

– falsche Angaben zu wöchentlicher Arbeitszeit 

– falsche Angaben zur Entlohnung (vor Ort Akkordlohn anstatt Mindestlohn)

Ausbeutung und Zwang an der Arbeitsstelle durch  

– Isolation auf dem Hof, kein Zugang zu Beratungsstellen oder anderen Stellen 

– Abhängigkeit von Arbeitgeber*in in allen Belangen (Lohn, Unterkunft, Verpflegung, Ein- und Ausreise, Gesundheit) 

– Unterschreitung des Mindestlohns um 50% durch Akkordlohn 

Lohnmanipulation durch (überhöhte) Abzüge für Verpflegung und Unterkunft 

– Konfiszierung der Ausweisdokumente 

 

Die vollständige Stellungnahme als PDF anschauen oder herunterladen:

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